Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
lachte ihn an. Früher, jetzt fielen ihm Szenen ein, hatte sie immer Theater gemacht, wenn er zu spät kam, also oft. Sie erhob sich, die schwarze Jeans stand ihr gut, und kam ihm entgegen, nahm ihn in den Arm und küsste ihn auf den Mund, kurz nur, aber es verwirrte ihn. »Wird Zeit«, sagte sie, aber es klang kein Vorwurf in ihrer Stimme. »Bist ja immer noch so unzuverlässig wie früher.«
Sie hat sich geändert, dachte Matti. Sie ist viel gelöster, nicht mehr so fixiert auf diese seltsame Rolle, die zu spielen sie sich gezwungen hatte. Und in ihrer Normalkluft gab es auch nicht mehr die Distanz, die er beim ersten Treffen gespürt hatte. Da war sie die Anwältin aus dieser Edelkanzlei gewesen. Jetzt war sie nur noch Lily, und das offenbar so locker, wie er sie nie erlebt hatte.
»Ich bemühe mich eben, der zu bleiben, der ich immer war.« Er grinste verlegen.
Nachdem er sich ihr gegenüber auf einen Kinderstuhl gesetzt hatte, die Knie stießen fast an die Unterseite des Tischs, da lachte sie nach kurzem Zögern auf: »Manche Dinge kann man sich abgewöhnen, jedenfalls, wenn sie anderen auf den Keks gehen.« Früher hätte ihre Stimme das unweigerlich kommende Unheil angekündigt, doch jetzt war nichts Finsteres zu hören. Und das Unheil würde nicht kommen.
Sie hat sich wirklich geändert, dachte Matti. Sie hat offenbar behalten, was gut war, und abgestoßen, was nervte. Wie ist so eine Wandlung möglich? Und er war geblieben, wie er war, und er wertete es als Überzeugungstreue, war stolz, dass er sich nicht angepasst hatte an die Welt der Äußerlichkeit. Er war schlampig geblieben, jedenfalls in manchen Dingen. Gar nichts wollte er an sich ändern.
Er schaute sie an, sie war kaum geschminkt, sah wach aus, fröhlich fast, nur ihre Augen waren so unruhig wie eh und je. Aber jetzt richteten sie sich auf ihn und trafen ihn unter der Haut.
Ein kleiner, schlanker Kellner mit einem flaumigen Oberlippenbart zerstörte, was sich gerade aufbauen wollte, als würde er unsichtbare Fäden kappen, die sich zwischen ihnen zu spinnen begannen. Sie bestellten beide Nudelgerichte, er mit einer Tomatensauce, sie mit Lammragout, er ein großes Pils, sie ein Glas Pinot Grigio. Als der Kellner verschwunden war, schweiften seine Augen durchs Lokal. Alle Tische waren besetzt, aus dem hinteren Raum dröhnte Lachen von einer Runde an einer langen Tafel, er beobachtete kurz ein verliebtes Studentenpaar, das sich mehr anschaute, als dass es miteinander sprach. In den Scheiben spiegelten sich verzerrt Menschen, die in Fensternähe saßen. Auf der anderen Seite, an der Wand, waren die Zugänge zu den Toiletten und davor die Küchentür, aus der gerade eine junge Frau kam, zwei große, tiefe Teller in den Händen.
An einem einsamen Tisch neben ihnen saß ein kräftiger Mann, der nicht ins Molinari passte. Er trug einen Anzug, wenn auch ohne Schlips, er hatte exakt geschnittene kurze Haare mit langen Koteletten, ein hageres Gesicht, und er trug einen Siegelring an der linken Hand. Vor ihm stand ein Glas Wasser, und er blickte gelangweilt überallhin, nur nicht zu Matti und Lily.
Als Mattis Augen nach ein paar Sekunden zu Lily zurückkehrten, sah er zwei Geldscheine vor sich liegen. Lily deutete lachend darauf: »Ich bezahle meine Schulden.« Matti stutzte, dann lachte er zurück. »Ist zu viel.« Er nahm den Zehner und ließ den Fünfer liegen.
»Und, Matti, wie geht’s dir ?«
»Gut.« Er kam sich einsilbig vor. Sie machte ihn befangen.
»Was treibst du so?«
»Ich fahre Taxi, das weißt du doch.«
»Und wenn du nicht Taxi fährst?« Ein strahlendes Lächeln, und ihre Augen trafen ihn ganz tief, an einer Stelle, deren Existenz er schon lange verdrängt hatte. Wenn er den Mund öffnete, fürchtete er zu stottern oder gar kein vernünftiges Wort herauszubekommen.
»Ich bin ja … wieder mit Twiggy und Dornröschen …«
»Die gibt’s auch noch!« Es schien sie zu freuen. »Und ihr habt eine WG ?«
Matti nickte.
Der Kotelettentyp ließ Daumen und Zeigefinger das Glas hinauf- und hinunterwandern.
Nun kam der Flaumbart mit den Getränken. Als der wieder abgezogen war, trank Matti einen Schluck und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken ab. Sie starrte ihn die ganze Zeit an. Wenn sie wüsste, was sie in mir anrichtet. Oder weiß sie es? Natürlich weiß sie es. Ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend meldete sich, verschwand aber gleich wieder, während sie ihm wie aus Versehen die Hand streichelte.
»Und
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