Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
überhängenden Jahresurlaub nehmen. Aber da sie in dem Laden ohne Chef die Chefin war, verkürzte sich der Widerspruch auf die Frage, ob man sie wenigstens anrufen dürfe, wenn was sei. Ja, auch mailen, hatte Dornröschen geantwortet, und das hellte die Stimmung einigermaßen auf.
»Die beiden Kolleginnen werden Ihnen vor Ort alles zeigen. Ich muss gleich die Nächsten fahren.«
»Was ist denn mit den Kolleginnen von der Zornstraße passiert?«, fragte Dornröschen.
»Sie wissen ja schon gut Bescheid.« Er lachte tatsächlich, auch wenn es sich eher wie ein Brummen anhörte. »Die haben sich wohl ein Virus eingefangen.«
»Und warum vertrete ich nicht eine von denen?«
Ein Seitenblick, und Dornröschen bereute schon, zu viel Neugier gezeigt zu haben.
»Wissen Sie, wen Sie vertreten, überlassen Sie mal mir.«
Sie fuhren in die Alfred-Randt-Straße, und der Peugeot hielt vor einem lang gestreckten vierstöckigen Plattenbau, dessen frisch geweißte Fassade von der Laterne gelb angestrahlt wurde. Als sie vor der Haustür standen, las Dornröschen einige Firmenschilder. Wittmann sagte nichts, sondern schloss die Tür auf, ging eine Treppe voraus, in der Hand ein monströses Schlüsselbund, öffnete eine Stahltür mit der kleinen Aufschrift MIT Computersysteme und Programmierung , schaute auf die Uhr, befahl: »Um eins!«, und verschwand. Die beiden Kolleginnen betraten einen Flur, Dornröschen folgte ihnen auf einem glänzenden Steinboden. Wo der Flur ausbuchtete, stand ein Eichenholztresen, dahinter ein schmaler Schreibtisch mit einer kleinen Telefonanlage, einem PC und einem Drucker mit mehreren Papierschächten. Sie erreichten das Ende des Flurs, wo die Hagere eine Tür öffnete zu einem langen schmalen Raum, an der rechten Seite ein Stahlregal, zu drei Vierteln vollgestopft mit Druckerpapier, Tonerkartuschen, DVD -Rohlingen und Büromaterial. Am Ende des Raums entdeckte Dornröschen Staubsauger, Schrubber, Lappen, Eimer, und im Regal standen Putzmittel- und auch zwei Glasflaschen, von denen eine mit einem schwarz-weißen Totenkopf versehen war und der Aufschrift Gift , darunter ein lateinischer Name.
Die Hagere sagte: »Das!«, und zeigte auf einen Eimer. Dann sagte sie wieder: »Das!«, und zeigte erst auf einen Schrubber, dann auf Einmalhandschuhe, eine Bürste und einen Lappen. Schließlich drückte sie Dornröschen die unbeschriftete Glasflasche in die Hand. Die Flasche war zu drei Vierteln mit einer Flüssigkeit gefüllt, die aussah wie Wasser. Dann ging die Hagere los und winkte Dornröschen, ihr zu folgen. Sie landeten natürlich im Herrenklo.
»Wasser!«, sagte die Hagere. Sie war nicht unfreundlich, ihre Anweisungen waren sachlich, und wahrscheinlich war es nur so, dass sie nicht gern schwätzte. Aber Dornröschen fühlte sich plötzlich elend, allein, verlassen und verloren. Hätte es Streit gegeben, dann wäre Dornröschen in einem ihrer Elemente, damit konnte sie gut umgehen. Aber sie traf diese vollständige Missachtung, die hinter der Sachlichkeit Wittmanns und dieser Hageren steckte.
In der Ecke, neben dem Waschbecken, war ein Wasserhahn mit einem Schlauchstutzen. Dornröschen stellte den Eimer darunter und ließ heißes Wasser ein. Als der Eimer fast voll war, schüttete die Hagere etwa ein Viertel des Flascheninhalts in das Wasser. Es schäumte weiß und kleinporig.
»Zuerst die Becken, dann den Boden«, sagte die Hagere, dann drehte sie sich um und ging.
Die Klobecken und die Pissoirs waren vollgepinkelt, vor allem die Ränder, und auch der Boden drum herum war bedeckt von eingetrockneten Urinspritzern, in einem der Klobecken entdeckte sie eine lange dunkelbraune Spur. Es würgte in ihr. Aber sie riss sich zusammen, redete sich fortwährend den Sinn dieses Unternehmens ein, flüsterte ein paar Mal Konnys Namen und überzeugte sich, dass man Klos putzen konnte, wenn es half, seinen Mörder zu finden. Außerdem, andere putzten auch Klos, lebten sogar davon. Da konnte sie sich nicht zu fein sein. Die Selbstüberredung half ein bisschen, und sie arbeitete zügig, auch wenn es aus dem Wassereimer scharf roch. Sie brauchte mehr als eine halbe Stunde, ging noch einmal in den Materialraum, fand Fensterreiniger und ließ auch den Spiegel glänzen. Dann nahm sie sich ohne weitere Rückfrage das Frauenklo vor, die Hagere hätte es ihr sowieso zugewiesen. Als sie gerade den Spiegel putzte, öffnete sich die Tür, und die Hagere trat ein. Sie schaute sich um, dann nickte sie. »Nicht schlecht fürs
Weitere Kostenlose Bücher