Matto regiert
dem Bild trug er einen – einen grauen, soviel man sehen konnte, und die Hosen waren an den Knieen ausgebeult… Ein alter Mann, ein Mann der alten Schule… Wie war er mit dem betriebsamen Dr. Laduner ausgekommen? Eigentlich wußte man noch nicht viel über den Herrn Direktor Ulrich Borstli, außer daß er an hübschen Pflegerinnen Gefallen fand und sich von ihnen Ueli nennen ließ. Warum sollte er auch nicht? Er war niemandem Rechenschaft schuldig, ein kleiner König in – wie hatte Dr. Laduner das gesagt? – ja, richtig: in Mattos Reich. Diesen Schül, der den Geist Matto erfunden hatte, den mußte man kennenlernen. Matto! Glänzend! Matto hieß ja verrückt auf italienisch. – Matto! Das hatte Klang!
War er verheiratet gewesen, der alte Direktor? Sicher! Witwer? Wahrscheinlich…
Es war doch nichts zu holen in dem Büro. Warum war man dann von Dr. Laduner hineingeschickt worden? Der Mann tat nichts ohne Überlegung. Wovor hatte er Angst?… Man war leicht gehemmt, weil man den Dr. Laduner gern hatte, aufrichtig gern, weil man vor allem das Bild nicht vergessen konnte, das Bild aus der Anstalt in Oberhollabrunn… Und dann auch, weil er einem Brot und Salz geboten hatte… Chabis! Aber es war nun einmal so…
Wo mochte nur der alte Direktor stecken? Auf alle Fälle war es vielleicht gut, man sprach mit dem Portier. Portiers waren gewöhnlich mitteilsame Menschen, um nicht geradeheraus zu sagen: klatschsüchtige… Aber auf alle Fälle waren sie immer auf dem laufenden.
Und während aus dem Nebenraum, dem Ärztezimmer, durch die geschlossene Verbindungstür, eine eintönig referierende Stimme sickerte, drückte sich Wachtmeister Studer aus dem Direktionsbüro wie ein Schüler, der sich vor dem Lehrer drücken will. – Der Lehrer? In diesem Falle Dr. med. Ernst Laduner, zweiter Arzt und stellvertretender Direktor…
Der Portier Dreyer trug eine Weste mit angesetzten Lüsterärmeln und eine grüne Schürze vorgebunden. Er war daran, den Gang z'wüsche. Studer stellte sich breitbeinig vor ihn hin:
»Loset, Dreyer!«
Der Mann sah auf, sein Blick war leer. Die linke Hand, die auf dem Besenstiel ruhte, trug einen Verband.
»Ja, Herr Wachtmeister?« Der Mann kannte ihn also schon. Desto besser!
»Ihr seid verwundet?«
»Nüt vo Belang…« sagte Dreyer und senkte den Blick.
Bluttropfen im Direktionsbüro… Der Portier verwundet – an der Hand!… Studer nahm sich zusammen. Nid! Nid! Keine verfrühten Hypothesen. Einfach registrieren: Portier Dreyer ist an der Hand verwundet… Weiter!
»War der Direktor verheiratet?«
Der Portier grinste. Seine Augenzähne trugen Goldplomben, das störte Studer, darum blickte er beiseite.
»Zweimal«, sagte Dreyer. »Zweimal war er verheiratet. Und beide Frauen sind tot. Die zweite war zuerst Köchin bei ihm, Haushälterin hat man das genannt. Sie war aus keiner schlechten Familie. Sie hat's dann gut verstanden, ihre Geschwister in der Anstalt unterzubringen: den Bruder als Maschinenmeister, die Schwester als Buchhalterin in der Verwaltung – und ihr Schwager, der Mann ihrer zweiten Schwester, ist vierter Arzt.« Es war zu erwarten gewesen, und die Erwartung hatte nicht getäuscht. Portiers waren wirklich auf dem laufenden. Sie redeten weniger witzig als beispielsweise Dr. Laduner, aber sachlicher.
»Danke«, sagte Studer trocken. »Hat der Direktor gestern eine größere Geldsumme empfangen?«
»Woher wisset ihr das, Herr Wachtmeister? Vom Mai bis in den August war er krank. Er hat Ferien genommen. Aber dann war der Herr Direktor noch bei einer Krankenkasse. Gestern ist das Geld gekommen: hundert Tage zu zwölf Franken Taggeld machte gerade tausendzweihundert Franken.«
»So«, sagte Studer. »Und am Ersten hat er wohl den Lohn gezogen, das war doch auch gestern?«
»Nein, den läßt er immer auf der Verwaltung stehen, und wenn eine größere Summe beieinander ist, läßt er sie an die Bank schicken. Er hat ja fast nichts gebraucht. Wohnung frei. Eine Haushälterin hat er nicht mehr nehmen wollen. So hat man ihm das Erstklaßmenü aus der Küche gebracht.«
»Wie alt war der Direktor?«
»Neunundsechzig. Nächstes Jahr hätte er seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert…«
Dann, als sei die Sache damit erledigt, schob Dreyer den schwarzen Haarbesen vor sich her, und für einen Augenblick herrschte der Geruch von Staub über die beiden andern: Bodenwichse und Apotheke.
»Hat er das Geld bei sich behalten? Ich meine die zwölfhundert Franken…«
Der Portier
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