Mattuschkes Versuchung
erstarrt, ich konnte mich aus dieser Stimmung nicht lösen. Dann habe ich alles hinter mir abgebrochen und diesen Weg eingeschlagen. Das, was ich selbst nicht vermochte, konnte die Figur auf der Bühne, in die ich schlüpfte. Wieder lachen, heiter sein, tanzen, Temperament versprühen. Über diesen Weg habe ich noch einmal zu mir selbst gefunden.«
Mattuschke hatte die Worte ernst verfolgt, war nicht auch er in einer Rolle, als er kühn den Löwenkäfig betrat und seine Bedenken überwand, weil er Ricardo spielte und nicht sich selbst? Spielte er nicht auch perfekt die Rolle des selbstsicheren, bei Frauen erfolgreichen Mannes und war tatsächlich ein sexueller Krüppel, unfähig zu einer körperlichen Beziehung und Bindung?
Er hatte nicht bemerkt, dass Vera ihr Gespräch beendet hatte und ihn fragend ansah, so sehr war er in seine Gedanken versunken.
»Entschuldigung, mir ist gerade etwas durch den Kopf gegangen, Sie haben recht, ich kann es sehr gut nachvollziehen, man tritt quasi als zwei Personen auf.«
Vera lachte: »Im Grunde ja, ich könnte wahrheitsgemäß behaupten, in einem Zwei-Personenhaushalt zu leben.«
»Tun Sie das in Wirklichkeit nicht?«
»Nein, ich lebe schon eine ganze Weile allein.«
»Genau wie ich«, rutschte es ihm heraus, obwohl er nichts Privates preisgeben wollte. Vera hatte Takt genug, nicht näher zu fragen. Sicher hatte sie gefühlt, dass er nicht darüber sprechen wollte.
»So selbstsicher und souverän Sie in Ihren Rollen auftreten, so wenig kann man sich Schwäche, Unsicherheit oder das Bedürfnis, sich anzulehnen, bei Ihnen vorstellen.«
»Auch das ist natürlich vorhanden, aber man gibt es nicht gerne preis.«
Jetzt bemerkte er den verletzlichen Zug, der um ihre Mundwinkel spielte, die Augen hatten für einen Moment ihren tiefschwarzen Glanz verloren. Es trat eine längere Pause ein, in der jeder mit seinen Erinnerungen beschäftigt war.
Er hüstelte: »Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber könnten wir uns nicht auch einmal privat treffen, ich meine rein freundschaftlich, ohne geschäftlichen Kontrakt. Als Begleiterin zu Besprechungen würde ich mich natürlich wieder an die Agentur wenden.«
»Natürlich können wir das, schließlich gibt es neben den Rollen noch den privaten Menschen, Vera Lanek.«
»Ich melde mich rechtzeitig bei Ihnen, wenn ich wieder in München bin, ich würde mich sehr freuen, auch Sie einmal begleiten zu dürfen.«
Er machte sein Versprechen wahr, lud sie zum Essen ein, sie wurde seine private Fremdenführerin und Freundin; auch wenn er nicht nach München kam, telefonierten sie miteinander, sie holte sich dann und wann Rat bei ihm ein. Zu geschäftlichen Anlässen buchte er sie nach wie vor, sie war professionell und für diesen Service einfach die Beste. Entspannt schlenderten sie durch die Einkaufsstraßen, verloren sich auf dem Viktualienmarkt und tauchten ein in den Luxus, den die exklusiven Geschäfte zu bieten hatten. Obwohl er bei der Wahl seiner Garderobe sicher war, ließ er sich bei diesen Gelegenheiten gerne von ihrem guten Geschmack leiten und beraten. Sie hatte, wie er, ein Auge für das Schöne und liebte dezente Eleganz.
Mehr als ein Jahr war seit der ersten Begegnung vergangen. An diesem Abend war sie wieder über die Agentur gebucht, hatte sich leicht verspätet im Münchner Feierabendverkehr und kam außer Atem und mit geröteten Wangen im Hotel an.
»Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät durch meine Unpünktlichkeit. Was liegt denn an, hast du noch Zeit, mich einzuweisen?«
Er lachte etwas verkrampft, zum ersten Mal spürte sie Nervosität bei ihm und unruhiges Flackern in seinen Augen. »Ich möchte dich heute um einen sehr ungewöhnlichen Gefallen bitten«, er ließ ein paar Sekunden verstreichen, ehe er weitersprach, »ich weiß, dass du nicht für erotische Dienstleistungen gebucht werden kannst. Keine Angst, ich möchte nicht mit dir schlafen.«
Vera atmete erleichtert auf, sie hatte fest damit gerechnet, dass er diesen Wunsch äußern würde.
»Und worin soll mein erotischer Service dann bestehen?«
»Ich wünsche mir, dass du dich entkleidest und dich berührst, während ich dir heimlich zusehe, nichts weiter. Du brauchst nur so zu tun, als gäbe es mich nicht, als wärst du alleine. Ich schaue dir aus dem Nebenraum zu.«
Vera schwieg. Da sie stumm blieb und scheinbar nicht darauf reagierte, sprach er weiter: »Du sollst nur eine Rolle spielen, eine andere als die sonstigen, die der heimlich beobachteten
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