Mattuschkes Versuchung
entschwand.
Auch Vera war von ihrem Kunden angenehm überrascht. Sympathisch, gut aussehend, sehr sachlich und zielorientiert. In knappen Stichworten hatte er sie darauf vorbereitet, was sie erwartete und wie er sich dabei ihren Part als Begleiterin vorstellte. Was ihr vor allem gefiel, war der offene Blick, das umwerfende Strahlen, wenn er lachte und seine Korrektheit im Umgang mit ihr. Keine Vertraulichkeiten, keine Spur von Anzüglichkeit. Darüber hinaus rauchte er nicht, was ihr sehr angenehm war. Sie hatte bei den ihr zugeteilten Kunden keinen Einfluss darauf, atmete aber jedes Mal hörbar auf, wenn sie feststellte, einen Nichtraucher begleiten zu dürfen. Erstens waren ihr Geruch und stechender Qualm unangenehm, zweitens bekam es ihrer Stimme nicht, die sie für die Auftritte schonen musste. Am schlimmsten waren Zigarren, deren Langzeit-Einwirkung ihre Stimme so veränderte, dass sie danach das Gefühl hatte, im Alt singen zu können.
Der Abend verlief besser, als Mattuschke je geglaubt hätte. Vera zog von Beginn an die Blicke auf sich, sonnte sich aber keineswegs geschmeichelt im Licht der Bewunderung, sondern schien sie gar nicht wahrzunehmen. Ihre aufgeschlossene Natürlichkeit, Schlagfertigkeit und humorvollen Äußerungen kamen an. Sie griff in die Konversation mit einem indischen Geschäftsmann, der der deutschen Sprache nicht mächtig war, so geschickt und geräuschlos übersetzend ein, dass die schlechten Sprachkenntnisse der Gastgeber nicht auffielen und keine peinlichen Pausen entstanden. Die sonst eisenhart kalkulierenden Geschäftspartner gaben sich ihrem Charme geschlagen, so dass er optimale Verhandlungsergebnisse erzielte.
Mattuschke feierte den Erfolg mit ihr und steckte einen deutlich höheren Betrag in den Umschlag, als mit der Agentur vereinbart. Er sagte ihr, wie zufrieden er war, und dass er sie gerne in Anspruch nehmen wolle, sobald er wieder in München sei.
Dazu kam es schneller als vorgesehen, weil ihm ein neues Geschäft angetragen wurde, bei dem es um Aufträge für die Maschinenfabrik ging. Er traf sich mit Wollhüsen und Vera im selben Hotel. Auch der junge Mitgesellschafter war von Veras Erscheinung und Mattuschkes Geschmack bei der ,Partnerwahl' angetan. Er ahnte nicht, dass sie für diesen Anlass gebucht war. Wieder liefen Essen und Gespräche besser als erwartet, und auch diesmal zeigte Vera Gespür und diplomatisches Geschick. Er blieb noch einen Tag länger, um sich die ,My fair Lady Aufführung anzusehen, in der sie die Eliza spielte und neben ihrem schauspielerischen und tänzerischen Vermögen überschäumendes Temperament einsetzen konnte. Er war begeistert. Ihr Auftritt als Begleiterin bei Essen und Empfängen zeigte sie in einer völlig anderen Rolle als der, die sie hier spielte. Wie mag sie sein, wenn sie sich selbst gibt und keine Rolle spielt, ging ihm durch den Kopf. Nach der Vorstellung wartete er auf sie und lud sie zu einem Drink ein.
»Sie waren großartig, ich bin hingerissen von ihrem Temperament und der großen Leistung auf der Bühne. Ich glaube, Sie brauchen Stunden, um wieder herunterzuschalten.«
Sie lachte und zeigte wunderschöne Zähne. »Es ist schon so, dass man sich mit extrem hoher Drehzahl auf der Bühne bewegt und peu à peu wieder zu sich finden muss. Die Rolle war eine große Chance für mich, Sie müssen wissen, ich bin nicht die Haupt- sondern die Drittbesetzung, meine Kollegin hat sich eine Nierenentzündung eingefangen und liegt mit Fieber zu Bett. So konnte ich zeigen, was in mir steckt.«
»Ich denke, das ist Ihnen überzeugend gelungen.«
»Ich fand es sehr schön, dass Sie sich die Aufführung angesehen haben, es, äh …, es hat mich motiviert.«
Ein Hauch von Verlegenheit huschte über ihr Gesicht, etwas, was er noch nie an ihr bemerkt hatte.
»Dieser Begleitservice in Ergänzung zu meinem Theaterengagement ist gar nicht so abwegig, wie die meisten glauben. In beiden Fällen spiele ich eine Rolle, ich bin nicht ich, wenn ich die Kunden begleite oder auf der Bühne stehe. Beides ist für mich Rollenspiel, künstlerische Betätigung, bei der ich mich austoben kann. In unserem Falle waren Sie der Regisseur, der mich auf meinen Part vorbereitet hat und die Anweisung gab, wie ich zu spielen habe.«
»Aber nur wenige Stichworte, alles andere haben Sie intuitiv getan, besser als jede Regieanweisung hätte sein können.«
»Vielen Dank für Ihre Anerkennung. Vor wenigen Jahren war ich durch einen Schicksalsschlag in Trauer
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