Mattuschkes Versuchung
hatte.
»Geschmackvoller Pullover, schöne gedeckte Farbe«, hörte sie Mattuschke sagen, dann stießen sie miteinander an.
»Bist du verrückt Heinz, Roederer Cristal, was gibt’s denn heute zu feiern?«, sagte Vera.
»Das Wiedersehen mit euch, ist das nicht Anlass genug?«, entgegnete er zufrieden lächelnd.
Der Champagner schmeckte köstlich und trug Louise schon nach dem ersten Schluck in schwindelnde Stimmungshöhen. Die erwähnte Marke sagte ihr zwar nichts, aber es musste nach Veras Reaktion ein außergewöhnliches Getränk sein. Genießerisch nahm sie weitere kleine Schlucke und ließ sie auf der Zunge prickeln. Mattuschke sah zu ihr hin, zwinkerte mit den Augen, sagte aber nichts.
Nach einer feinen Suppe aus pürierter Petersilienwurzel mit Sahnehaube und gerösteten Pinienkernen, letztere nur für die Gäste, wurde das Hauptgericht serviert. Wieder war die gut aussehende Bedienung, die sie vom ersten Abend her kannte, engagiert. Diesmal trug sie normale ,klare’ Seidenstrümpfe. Während sie die Teller brachte, wehte ein herrlicher Duft herüber.
»Königinpasteten mit Ragout-fin«, sagte er, »eins meiner Lieblingsgerichte aus der Jugend.« Louise musste unwillkürlich lachen, konnte sich kaum noch beherrschen.
»Das gibt es doch nicht, du wirst es nicht glauben«, sagte sie, »noch vor wenigen Tagen habe ich davon geschwärmt und es mir sehnlichst gewünscht. So langsam denke ich, du bist die männliche Fee, die jeden Wunsch erfüllt, der Geist aus der Flasche.«
»Zu viel der Ehre, reiner Zufall, nimmst du feinherben Wein, Louise? Vera brauche ich nicht zu fragen, sie liebt trockenen Weißburgunder über alles.«
Sie entschied sich für feinherben Rheingauer mit reizvoll lebendiger Fruchtigkeit und dachte, wie verrückt die Welt doch sein kann. Das musste sie unbedingt ihrer Mutter erzählen. Nach reichlich genossenem Wein und vorzüglichem Essen verabschiedeten sie sich. Vera küsste sie stürmisch auf den Mund, Louise schwankte leicht und musste kichern, als sie Veras Zunge zart auf ihren Lippen spürte. »Wir sind alle übermütig und beschwipst«, dachte sie. Gemeinsam mit Mattuschke winkten sie, bis Vera im Taxi davongefahren war.
»Danke Heinz für den schönen Abend und das kulinarische Highlight, es war kötzlich, hm … ich meine köstlich. Gute Nacht.«
»Gute Nacht Louise«, ein amüsiertes Lächeln umspielte seinen Mund, »danke für deine Gesellschaft, ich habe sie sehr genossen.«
Er gab ihr einen scheuen Kuss. Sie schloss die Tür auf, was erst im dritten Anlauf gelang, tanzte ausgelassen durch ihre Wohnung, zog ein Kleidungsstück nach dem anderen aus, ließ es fallen, wo sie es gerade abstreifte oder mit dem Fuß hinschleuderte und tanzte nackt zu schwungvoller Reggae Musik. Es tat gut, übermütig zu sein, zumal sie gute Nachrichten von Eric hatte, der bald entlassen werden sollte und neuen Mut geschöpft hatte. Nach einer Weile hüpfte sie ins Bad, schnitt Grimassen im Spiegel und vertrieb den guten Weingeschmack mit dem Pfefferminzaroma der Zahnpasta. Ein leises Quietschen ertönte, wie von Katze Mirka. Wenn sie jetzt hier wäre, würde sie die Verschmuste glatt mit ins Bett nehmen.
Auch Mattuschke ging zu Bett, der Abend hatte ihm gut gefallen, vor allem der allerletzte Teil. Er war sehr zufrieden. Genüsslich ließ er eins der letzten Plätzchen am Gaumen schmelzen. Geschmack der Kindheit. Er schloss die Augen, seine Gedanken glitten von der Gegenwart zurück in die Welt der Erinnerungen, zu Bildern der Vergangenheit, die ihm durch den Kopf gingen.
Er war etwa zwölf Jahre. Eine Sondergenehmigung erlaubte es, der Schule fernzubleiben; allerdings mussten Britta, er und zwei weitere Mädchen den Stoff mit einem Hauslehrer erarbeiten, was schneller und effektiver gelang, als in einer Klasse, die damals meist mit mehr als vierzig Kindern bestückt war. Er war an allem interessiert und lernte schnell. Das meiste hatte er sich ohnehin selbst beigebracht. Seine ersten zehn Jahre waren ganz entscheidend für die persönliche Entwicklung. Schon seit geraumer Zeit versuchte sein Vater, ihn auf das Artistenleben vorzubereiten, vermittelte Zaubertricks und ließ ihn die Fingerfertigkeit üben. Er war nicht untalentiert, aber es schien nicht auszureichen für eine spätere Karriere. Gleichgewichtsübungen absolvierte er auf schmalen Balken, dann auf dem Schlappseil, aber es sah ängstlich und wackelig aus. Seinen Wunsch, mit Ricardo und den Löwen zu üben, schlug sein Vater ab,
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