Mattuschkes Versuchung
ein, weil er ihr sympathisch war. Etwas Sanftes, Gefühlvolles strahlte er aus, und sie verspürte das Bedürfnis, sich anzulehnen.
»Wie geht man überhaupt an einen Roman heran?«
Karsten war froh, eine interessierte Zuhörerin gefunden zu haben und setzte sich in Positur.
»Ich kann nur für mich sprechen, zuerst hat man die Idee, aus der sich ein Stoff entwickelt. Ich trage Stichworte und Informationen zusammen, gliedere sie, lege die handelnden Personen fest, zunächst nur als Nummern.«
»Wieso denn das? Wäre es nicht einfacher mit Namen?«
Er lächelte nachsichtig.
»Nein, während ich schreibe, sehe ich die Personen vor mir, entwickle Aussehen, Charakter, Eigenheiten über Seiten hinweg. Irgendwann sind sie so ausgeprägt, dass ich Namen geben kann, die zu ihnen passen. Täte ich es vorher, ehe ich sie kennengelernt habe« – er sprach so, als wären ihm die Protagonisten persönlich begegnet – »wären sie nachher nicht mehr stimmig und müssten geändert werden.«
Das war Louise neu.
»Du beginnst mit der Einleitung und schreibst dann sukzessive bis zum Ende?«
»Ja und nein, man muss schon seinem Handlungsstrang, dem Plot, folgen, aber bei mir ist es so, dass ich den Anfang erst am Schluss schreibe und mir dann den endgültigen Titel überlege.«
»Darüber macht man sich als Leser gar keine Gedanken.«
»Das Faszinierende ist, dass man Handlung und Personen Tag und Nacht im Kopf behält, um Wiederholungen zu vermeiden und keine Gedankenbrüche zu produzieren. Du lebst mit deinen geschaffenen Figuren, unterhältst dich im Schlaf, wirst mit ihnen wach und hast die Macht, sie leben, lieben oder sterben zu lassen.«
Louise dachte über die Worte nach, sie las sehr gerne, aber von dieser Seite hatte sie es nie betrachtet. Es reizte sie, nach dem kleinen Büchlein zu fragen. »Weil die Geschichte dauernd im Kopf herumgeht, fallen dir Dinge spontan ein, die du an dieser oder jener Stelle einfügen könntest, aber so schnell, wie sie kommen, so schnell sind sie vergessen, deshalb notiere ich sie in diesem handlichen Ding, das überall hineinpasst.«
»Und wie kamst du zum Schreiben?«
»Ich hatte immer das Bedürfnis, einen Drang in mir, Gefühle auszudrücken, in Gedichten, Geschichten und den Traum von einem Roman. Wenn ich schreibe, dann verliere ich mich in der Phantasie, meine Gedanken versickern auf Papier wie Nässe in trockener Erde, suche ich Beschreibungen, wie aus dem überbordenden Angebot eines KdW der Worte.«
»Ist denn dein erster ein religiöser Stoff?«
»Nein, nur am Rande. Wenn ich darf, schenke ich dir ein Exemplar, du musst mir deine ehrliche Meinung sagen.«
Damit hatte sie in Erics Fall schon leidvolle Erfahrungen gesammelt. Eigenartig, über seine Art des Schreibens hatte er nie gesprochen, nur, wie lange er für die sich reimenden Zeilen mit sechs gleichen Buchstaben benötigt hatte. Louise fuhr ihn nach Hause, sie verabredeten sich für den nächsten Tag.
Diesmal sprachen sie über andere Themen, Karsten war vielseitig interessiert, sie konnte sich ähnlich gut mit ihm unterhalten, wie mit Heinz. Im Vergleich dazu hatten Unterhaltungen mit Rick immer hohen Schweigewert. Irgendwie erinnerte er sie an ihren Vater, obwohl er anders aussah, es war das weiche, wankelmütige, das sie auch in ihm erkannte. Karstens ,Ich' würde immer im Vordergrund stehen, worin sie einen Ausdruck von Schwäche sah. Als sie ihn nach Hause fuhr, küsste er sie auf den Mund. Sie war überrascht, aber es war ihr nicht unangenehm.
An den nächsten Tagen wollte sie sich ganz ihrer Diplomarbeit widmen. Schon früh stand sie auf, es lief besser als erwartet, knabberte Unmengen von Schokolade dabei. Gerade wollte sich ein erstes Euphoriegefühl über das schnelle Vorankommen einstellen, als sich der Computer ohne Gruß verabschiedete und nicht mehr zum Öffnen ihres Dokuments zu bewegen war. Gottseidank hatte sie alles bis auf wenige Seiten gespeichert. Diese elende Kiste. Sie hieb mit der Faust auf den Tisch, die eben noch so hoch schwebende Laune war plötzlich unterirdisch. Abends rief Gila an: »Was treibst du denn so, dein Hemingway sitzt seit Stunden traurig an der Theke, weil ihm die Muse fehlt? Ich fürchte, er ist am Stuhl festgeschraubt.«
Louise lachte: »Der ist Jahre ohne mich ausgekommen, da wird er sich schon über einen Abend hinwegtrösten können.«
»Du willst ja meine Meinung über Karsten nicht erfahren. Kann ich verstehen bei meinen schonungslosen Beurteilungen. Ich denke
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