Matzbachs Nabel
natürlich denkbar, daß er die Karten als Unterlage für seine scheußlichen landeskundlichen Gedichte gebraucht hat. Glaub ich aber nicht; die anatomischen Formen, von denen es in den Versen wimmelt, findet er nur in der Natur, nicht auf Karten. Was sagt dein Pendel?«
»Macht komische Schwingungen. Mütterlich, gewissermaßen.«
Matzbach bewegte die Zigarre wie den Taktstock zu einem atonalen Orchesterstück ohne Rhythmus. »Deine mütterlichen Besorgnisse befriedigen mich nicht.«
»Ach?«
»Das mußte mal gesagt werden.«
»Nun fahr nicht gleich aus dem Hemd. Erst später, aber dann gründlich. Wie du weißt, kümmere ich mich ja gelegentlich unmütterlich um deine Befriedigung.«
»Inzest, Inzest. Gut, daß der Verfassungsschutz nicht weiß, in welcher Verfassung wir dann sind. Also, was ist mit der Karte und dem Pendel?«
Jorinde zog eine der neueren Karten aus dem Stapel. »Hier. Auf den frühen hat er das nicht gemacht, aber auf den späteren immer. Da ist ein Kreis.«
Matzbach nahm die Karte in die Hand. »Ja, hab ich eben gesehen. Auf der von anno 44 – Moment, auch auf der von anno 16 – gehen da von einem interessanten Punkt gestrichelte Linien weg, fast sternförmig. Runter zur Ahr, in die Berge, nach Norden, nach Osten. Was ist damit?«
»Ich habe die von 1916 und die von 1944 ausgependelt. Die älteren auch, aber da passierte eigentlich kaum was. Bei denen von 1916 und 1944 fing das Pendel an zu kreiseln, und zwar links herum. Bei der letzten, der neuesten, kreiselt es zuerst rechts herum, stoppt dann und macht in Gegenrichtung weiter. Was, bitte sehr, soll das?«
»Frag dein Pendel. Wer ist denn hier die Hexe?«
Jorinde streckte ihm die Zunge heraus. »Ich wende mich hilfesuchend an den ehemaligen Dozenten für Okkultismus, B Punkt Matzbach.«
»Hah. Dozent
gegen
Okkultismus, Verehrteste. Ich bin ein Anhänger der simplen abendländischen Vernunft, die mich bisweilen zur Beschäftigung mit erstaunlichen Phantasien wie Religion, Metaphysik, Politologie und Okkultismus treibt. Hmmmm … Wir haben da ein Definitionsproblem. Die Ausschlag- beziehungsweise hier Kreiselrichtung des Pendels kann gut-böse, gefährlich-harmlos, heilsam-schädlich oder derlei bedeuten; allerdings sind die Esoteriker uneins, welche Richtung welche Bedeutung hat.«
Jorinde seufzte. »So weit, so gut. Ist ja auch egal. Jedenfalls kriegen wir für die neuesten Karten beides, für die älteren nur eines, für die ganz alten nichts. Kannst du damit etwas anfangen?«
»Überlagerungen«, sagte Matzbach dumpf. Dabei grinste er. »Sagen wir mal so: Ganz früher gab es da, wo der Kreis ist,nichts, jedenfalls nichts von Bedeutung. Dann, ab spätestens 1916, gibt es etwas, und neuerdings gibt es zweierlei.«
Jorinde verschränkte die Hände im Nacken und schüttelte das lange Mahagonihaar ins Gesicht. Die Stimme hinter der härenen Portiere klang nach empörter Verzweiflung. »So weit war ich auch schon.
Was
ist da? Ist da überhaupt was?« Sie löste die Hände wieder, warf das Haar zurück und starrte auf die Karte. »Marienberg – hat das was zu bedeuten?«
»Hat es.«
»Erhelle mich, o Herr.«
»Mit grausem Vergnügen, Madame.« Er sah sich um, stand auf, ging zur Tür, nahm einen Autoatlas vom Ablagebord und kam zum Tisch zurück.
»Hier. Seite … ah, da haben wir’s. Bonn, nicht länger Hauptstadt, aber noch immer Sitz der Regierung. Re-Agierung.«
Jorinde stöhnte. »Was hat das mit Marienberg zu tun?«
»Langsam, langsam. Wir verlassen nunmehro Bonn gen Südwesten, grob gesagt, mit der Autobahn; was erreichen wir?«
»Das Autobahnkreuz Meckenheim«, sagte sie schwach.
»Ist dir da schon mal was aufgefallen?«
»Nee. Was denn auch?«
»Im Bereich des Autobahnkreuzes Meckenheim stehen einige große Hinweisschilder mit militärischen Fahrtips.«
Sie nickte zögernd.
»Die Autobahn ist da bemerkenswert gerade, bemerkenswert breit und in der Mitte nicht bepflanzt. Die Leitplanken in der Mitte und am Rand, wo es ohnehin kaum welche gibt, lassen sich sehr schnell entfernen. Im großen bösen Ernstfall haben wir da im Nu eine notdürftige Start- und Landebahn für Kampfflugzeuge.«
»Ah!«
»Du sagst es. Es gibt da überaus gepflegte, aber abgesperrte Parkplatzflächen. Darunter und daneben verbergen sich allerlei feine Dinge – Treibstoffdepots, zum Beispiel; wahrscheinlich auch ein bißchen Munition und derlei.«
»Ah!«
»Just. In dieser Gegend hat man einige nette kleine Nebenstraßen gebaut, alle
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