Matzbachs Nabel
unverdaulich. Und du? Wen oder was hast du ausgependelt?«
Sie klopfte auf die Papiere. »Osiris und seinen Nachlaß. Die Handschrift, die Kartenskizzen.«
Matzbach zog mit dem Fuß einen Schemel heran und setzte sich neben die Hexe. Er fischte ein Blatt aus dem Stapel und betrachtete es kurz. Dann legte er es beiseite und nahm die letzte Zigarre aus dem Transport-Etui.
»Pfft pfft pfft.« Er blies das Streichholz aus. »Nun ja. Die Handschrift … Ausgeschrieben, mit einer gewissen altmodischen Eleganz, dieses geschnörkelte
z
zum Beispiel. Alles sehr fein und gleichmäßig, aber diesseits der Eitelkeiten einerbewußt gepflegten beziehungsweise aufgesetzten Kalligraphie. Bah. Ein reifer, ruhiger Charakter. Offenbar der letzte nicht neurotische Deutsche. Schade um ihn. Jedenfalls sieht mir die Schrift nicht nach Verfolgungswahn oder derlei Zuständen aus.«
Jorinde stand auf und ging zum Herd, wo die Blechkanne mit Kaffee leise vor sich hin blubberte. Sie tat Milch und Zucker in zwei Becher, goß sie voll und kam zum Tisch zurück.
»Da, gegen deine Schnapsfahne. – Im Prinzip kommt beim Pendeln das gleiche raus.«
Matzbach grinste. »Wat lernt uns dat? Zweifaches unwissenschaftliches Gehampel führt zu einer interessanten Übereinstimmung, ohne die Kenntnisse im geringsten zu mehren.«
»Wie ich schon sagte – am besten geht’s, wenn man’s kann und nicht dran glaubt. Aber was bringt’s am Ende? Null.«
Er schlürfte an seinem Kaffee. »Das gilt für viele Dinge, Frollein Hexe. Demokratie, bleistiftsweise.«
Jorinde ächzte. »Herr, erbarme dich unser. Wohin soll das wieder führen? Du hast zu wenig geschlafen; jetzt kommt die Müdigkeit als Wortgewöll raus, wie?«
»Ich fürchte, bis wir mit dieser Angelegenheit hier fertig sind, werden wir noch viele liebevolle Reden über unsere Institutionen halten müssen. Aber lassen wir das im Moment, wenn’s beliebt. Wieso sitzt du eigentlich da mit den Unterlagen von Osiris?«
»Heinrich hat mich abgesetzt; er kümmert sich um die weiteren Vorbereitungen, bestattungsmäßig.« Sie schnitt eine Grimasse. »Er meint, wenn irgendwer anfängt, fehlende Unterlagen zu suchen, dann zuerst bei ihm, also hat er sie mir gegeben.«
Matzbach gluckste. »Du warst aber doch so furchtbar dagegen, daß die kleinen Jungs Räuber und Gendarm spielen, mit Polizei und Verfassungsschutz.«
»Stimmt; aber irgendwie weckt ihr beide in mir mütterliche Gefühle.«
Er lachte laut. »Recht so, Jokaste. Und deshalb willst du uns unter die Arme greifen? Glibberige Gegend, nebenbei.«
»Du könntest ja in den Trog steigen und dich reinigen.«
»Gemach, gemächlich, gemächt, Gevatterin. Mütterliche Gefühle. Nestbau. Brutpflege. All das? Ja sso. Und? Irgendwas dabei rausgekommen?«
Sie schob die Unterlippe vor. »Ich glaube, du nimmst mich ernst; das ist ungehörig.«
»Ich will’s nie wieder tun, Mami.«
»Na schön. Tja, also, diese komischen Karten …« Sie legte ein paar beschriebene Blätter beiseite und klopfte mit dem Zeigefinger auf die zusammengehefteten, vergrößerten Kopien von Landkarten. »An den Rand hat er, oder jemand anderer, jeweils Herkunft und ungefähre Zeit geschmiert. Es fängt an mit der französischen Karte, Tranchot; dann kommt das Meßtischblatt des preußischen Generalstabs von circa 1850; ein kaiserliches von ungefähr 1900 mit dem Vermerk ›Heeresdruckerei Metz‹; die nächsten beiden, von 1916 beziehungsweise 1944, hat er per Bleistift …«
» … bleistiftsweise …«
» … für ›geheim‹ erklärt. Dann noch eine neue Karte in zwei Ausfertigungen; eine, die letzte, ist markiert ›ca. 1983, nur für internen Gebrauch‹.«
Matzbach blies die Wangen auf; dann griff er zu einem herumliegenden Messer, strich Butterreste an seiner Hose ab und löste die Verklammerung.
»Ich hab das Zeug ja nur kurz überflogen, drüben, in seinem Haus. Laß mal sehen.«
Langsam, gründlich musterte er die Karten, verglich, runzelte gewaltig die Stirn, kaute auf der Zigarre und versuchte gleichzeitig zu pfeifen.
»Was bewegt dich zu diesen Lautgebungen, o Matzbach?«
Er legte den Kartenstapel auf den Tisch, nahm die Zigarre aus dem Mund und kniff die Brauen zusammen. »Vielerlei, o Kebse. Vielerlei und manch Mannigfaltiges. Immer dieser mittlere Ahrabschnitt …« Er lehnte sich zurück; da der Schemel keine Lehne hatte, rettete ihn nur der hastige Griff nach der Tischkante vor einem Sturz. Jorinde keckerte leise.
»Ahrabschnitt, bah. Nun wäre es
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