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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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nicht gefunden; der Staat ist im Besitz von Parteien und Gruppierungen, die uns Zwietracht vorgaukeln, um hinter dem blinden Spiegel einträchtig Posten und Pfründe zu verschachern; statt von den Tüchtigsten, die gewählt sein sollten,werden wir von den Glattesten, die per Absprache und Listenplatz aufgestiegen sind, an der Nase geführt; die Regierung, die sprechen und handeln sollte, ist verkommen zur Re-Agierung, die lügt und aussitzt – mit einem Wort: Wir sind keine Bananenrepublik geworden, sondern eine von Kraut und Rüben überwucherte und überwältigte Kohlonie: ein Kappesstaat.«
    Yü blinzelte. »Lassen wir doch diese matten Chinoiserien. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    »Antworten.« Matzbach deutete auf das schwarze Telefon, das neben dem Durchgang zur Küche auf dem Boden stand. »Der Anrufer, der Sie nach Mitternacht zu Osiris geschickt hat, wollte nicht zufällig zurückgerufen werden?«
    »Er hat weder einen Namen noch eine Nummer genannt.«
    »Merkwürdig, nicht wahr?«
    »Wer weiß denn schon, wie Europäer denken?« Yü grinste. »Ich war im ersten Tiefschlaf; da ist mir der Unsinn des Anrufs erst aufgegangen, als ich schon fast bei Osiris war. Und dann gab’s andere Dinge zu erwägen.«
    »So, so. Sie haben das Haus durch die Küchentür betreten; ich nehme an, sie war normal auf, nicht beschädigt oder gesprengt? Aha, gut. Und dann? Wie hat’s im Zimmer ausgesehen?«
    Yü schloß die Augen und konzentrierte sich. »Abgesehen vom Suchen nach Anweisungen oder Testament, also Papierräumen, habe ich nichts angefaßt oder verändert. Osiris hat im Bett gelegen, angezogen, mit Schuhen, unter der Decke. Und er war tot.«
    »Dann haben Sie den Arzt angerufen?«
    »Die Notarzt-Nummer; irgendwer hat mich mit der Klinik verbunden, und da hat eine müde Frau meine Angaben notiert und gesagt, sie will versuchen, den zuständigen Doktorzu erreichen. Der war nämlich schon unterwegs, hat aber Telefon im Auto. Dann habe ich gewartet und gewühlt, wie gesagt; als er endlich gekommen ist, hatte ich grad mit Genenger telefoniert, weil ich diesen Wisch gefunden hatte.«
    »Waren Sie die ganze Zeit dabei, als der Arzt Osiris getestet hat?«
    »Ja. Der hat einen Stuhl ans Bett gezogen, sich gesetzt, die üblichen Dinge getan – Puls, Herzschlag, Atmung, Augen, was man da so macht – und den üblichen Zettel ausgefüllt. Ich hab ihm gesagt, der Bestatter wär schon alarmiert; da hat er etwas über unnütze Eile gemurmelt und ist gegangen.«
    »Haben Sie dann sonst noch wen angerufen?«
    »Wen denn, mitten in der Nacht?«
    »Was weiß ich – Polizei, Verfassungsschutz, Ihre Freundin?«
    Yü prustete. »Nur weil Osiris sich formlos verabschiedet hat? Hören Sie, daß ich einen deutschen Paß habe, bedeutet noch lange nicht, daß mich die Behörden irgendwie interessieren. Und meine Freundin muß tagsüber hart arbeiten; sie braucht ihren Schlaf.«
    Matzbach dachte angestrengt nach; jedenfalls runzelte er mächtig die Stirn und schnaubte mehrfach. Dann legte er den Zeigefinger an seine Nase.
    »Dieses knubbelige Ding, auf das ich mich meistens verlassen kann, sagt mir, daß Sie trotz aller Lügen tief innen ein wahrheitsliebender Mensch sind.«
    »Eine verläßliche Nase?« murmelte Yü. »Was für Lügen?«
    »Ihre erfundene Vorgeschichte. Das mit Trudeau ist ein netter Zug; den Rest der Erlebnisse Ihrer väterlichen Ahnen haben Sie doch aus Büchern, oder?«
    »Wie Konfuzius sagt, ändert sich ein Buch mit jedem Leser, die Realität dagegen mit jeder Sekunde. Insofern sind meineAhnen stabiler als Ihre. Was hat das mit Wahrheitsliebe zu tun?«
    Matzbach kniff das linke Auge zu und fixierte ihn mit dem rechten. »Ich beschließe gerade, Ihnen zu vertrauen, weil ein Chinese, der die eigenen Ahnen derart elegant verleumdet und verändert, nicht unbedingt getreulichem Nisten im Horst des Bundesadlers frönt, oder?«
    »Mann, können Sie Sätze drechseln!« Yü lachte. »Nisten im Horst des Bundesadlers … Sagen wir mal so: Die Korridore der Macht sind abgeschottet gegen den Wind des Wandels. Ich wohne in meinen eigenen Bedürfnissen und halte Prinzipien so hoch, daß ich notfalls bequem darunter durchschlüpfen kann. Wie einer Ihrer Dichter bemerkte: Wer schon ein Haus hat, baut sich keines mehr. Und, wie Tschuang-tsu redlich erwog, weiß ich bei Windstille nicht, wie ich mein Mäntelchen hängen soll. Machen Sie doch einfach ein bißchen Wind.«
    Matzbach zündete sich eine Zigarre an und begann zu

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