Matzbachs Nabel
Umschlag hoch. »Testament«, sagte er. »So steht es außen drauf.«
»Aaaah!« Dittmers Äußerung begann als Grollen und endete als gedämpftes Kreischen. »Schwein, du! Wo war das?«
Genenger machte »oink, oink« und ein undurchdringliches Gesicht. »Hat sich so eingefunden.«
Schmitz nahm einen Brieföffner in die Rechte: Elfenbein, mit einer Elefantenkarawane auf der stumpfen Seite der Klinge.
»Halt!« Dittmer sprang auf und stützte sich auf den Schreibtisch. »Das geht nicht!«
»Was geht nicht?« Schmitz brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig verblüfft und listig dreinzuschauen.
»Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft ist der sämtliche Nachlaß des verstorbenen Osiris K vorläufig beschlagnahmt – Besitz, Haus, Papiere, alles.«
»Interessant. Mit welcher Begründung?«
»Verdacht auf Zugehörigkeit zu einer verfassungsfeindlichen Vereinigung. Verdacht auf Besitz von Papieren, die geeignet sind, die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik zu untergraben.«
»Ungewöhnliche Formulierungen für einen ungewöhnlichen Verdacht. Überhaupt ein ungewöhnlicher Vorgang.« Schmitz hielt noch immer den Brieföffner und Umschlag in den Händen. »Das haben Sie doch bestimmt irgendwo schriftlich, nicht wahr?«
Dittmer raufte sich die Haare. »Ja, verdammt, aber nicht bei mir!«
»Armes Kerlchen«, sagte Matzbach. »Flavio, setzen! Sechs! Außerdem – woher wollen Sie wissen, daß in dem Umschlag das Testament von Osiris K steckt?«
»Von wem denn sonst? Sie schulden mir immer noch eine Antwort – woher wissen Sie das ? Ihr … du …« Er starrte von Matzbach zu Genenger, ruderte mit den Armen und ließ sich dann in den Sessel fallen.
»Ruhig Blut, Junge.« Jorinde beugte sich weit hinüber und tätschelte Dittmers Hand. »Wenn Sie so weitermachen, kriegen Sie Magengeschwüre.«
Dittmer zog ruckartig seine Hand weg.
»Jetzt schmollt er – ts, ts, ts.« Matzbach lächelte mitleidig. »Vielleicht ist es ja doch ein Testament von einem anderen. Das wissen wir aber erst, wenn wir es öffnen.«
»Sie … ihr macht euch alle strafbar.« Dittmer klang nicht besonders überzeugt.
Schmitz schüttelte den Kopf. »Die Lektüre sowie Verlesung eines Testaments ist nicht strafbar. Die Vollstreckung kann natürlich erst erfolgen, wenn alle Bedenken ausgeräumt und alle nötigen rechtlichen Schritte unternommen sind. Ich glaube, ich sollte das jetzt öffnen.«
»Nein!«
»Doch, Dittmer. Ihre Integrität in allen Ehren, aber Sie können nicht erwarten, daß ich nur wegen Ihrer schönen blauen Augen meine Pflichten gegenüber zahlenden Mandanten vernachlässige, oder?«
»Aber die drei hier wissen ganz genau, daß alles beschlagnahmt ist!«
»Beschlagnahmt?« sagte Matzbach. »Ei der Daus! Woher sollen wir das denn wissen?«
»Mensch, Matzbach, Sie waren doch dabei – Sie haben mit der Staatsanwältin gesprochen. Und mit den anderen.«
»Ich? Heute früh?« Matzbach machte ganz große Kinderaugen. »Wißt ihr was davon? Jorinde? Heinrich? Nein? Na also. Bruder Flavio, du redest irre.«
»Seit wann duzen wir uns?« knurrte Dittmer.
»Ach, unter Brüdern … Walten Sie Ihres Amtes, Herr Schmitz.«
»Einverstanden? Na gut.« Schmitz schlitzte den großen Umschlag auf; er enthielt drei kleinere Kuverts. Der Juristhielt sie nacheinander hoch und las die Aufschriften vor. »Testament. – An die Erben; diskret und nicht amtlich. – An Heinrich Genenger.«
Heinrich nahm den für ihn bestimmten Umschlag und steckte ihn in die Innentasche der Jacke. »Weiter bitte.«
Schmitz öffnete den Umschlag, auf dem »Testament« stand. Dittmer knirschte mit den Zähnen. Der Jurist überflog das Schriftstück – ein Blatt –, dann lächelte er.
»Dittmer – was wollten Sie beschlagnahmen?«
»Den Nachlaß von Osiris K, verdammt.«
»Tut mir leid, daß ich Ihnen da nicht helfen kann; das Testament ist unterzeichnet von Friedrich Schumann.«
Genenger begann leise zu lachen; Jorinde schloß die Augen und summte; Matzbach wiederholte den Namen.
Dittmer holte tief Luft und stieß sie als Ächzer wieder aus. »Aber das
ist
doch Osiris! Sein richtiger Name.«
»Sagen
Sie
.« Schmitz musterte ihn über den oberen Blattrand hinweg. »Eine weitere unbewiesene Behauptung. Ich glaube, Sie halten sich jetzt einfach mal zurück.«
Er begann zu lesen. Die Verfügungen des verblichenen Friedrich Schumann waren klar, einfach und eindeutig. Da er keine lebenden Verwandten habe, zumindest keine näheren, hinterlasse er
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