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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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reden.

ZWEITER TEIL
    NABEL

11. Kapitel
    Vorschriftswidrig ging Matzbach auf der rechten Seite der Bundesstraße, wo er schritthalten konnte mit dem Fließen der Ahr, ihre Wasser wägen und ihrem Rauschen lauschen. Im Gehen wob er ein wirres Netz ebenso unzufälliger wie unüberzeugender Gedanken und wunderte sich bisweilen zerstreut, daß von Altenahr nach Neuenahr oder weiter zum Rhein fahrende Wagen sich nicht in diesem Netz verhedderten. Der Gegenverkehr interessierte ihn nicht.
    Während er so ging und dachte, in der Hoffnung, die grell verschiedenen Stränge des Denkens zu einmütigem Zopf zu flechten, dachte etwas in ihm über das Denken, daß es nur Dunk sei, und über die Stränge, daß jeder Strang ein Strunk sei, vor der Blüte gerissen aus fruchtloser Scholle, unbiegsam knotig und nicht zum Verflechten geeignet. Humpeldipumpeldipum tararah, die Flanken des Ahrtals zu Flächen verflacht.
    Er lehnte sich an ein Straßenschild – die Kilometerangabe für Heimersheim war dank eines fetten schwarzen Hakenkreuzes unlesbar – und zündete sich eine Zigarre an. Vor ihm lag das Dorf; er sah die Sonne auf dem Blechteller des Friseurladens und in den Schaukästen einiger Winzer, die vorgebeugten Fachwerkfassaden, die Kronen der Linden am Platz vor der Kirche, das mit versilberten Knäufen und einer besonders häßlichen Nepomuk-Statue beschwerte Geländer der Brücke über den Bach, der sich hier in die Ahr versprudelte, ohne sie merkbar zu schwängern. Dieses ungelenke Wörterzappeln fand sich in einem der Morganatischen Gesänge des toten Osiris – oder hieß es bei ihm in vorwegnehmender Selbstschutzhäme »ungefüges Wortgezappel«? –,und zwar in einem besonders schlimmen topographischen Canto, der von der Mündung des Adelbachs ahraufwärts jodelnd bis Dernau alle Einzelheiten verheert hatte: die kiepensteilen Weingehänge mit theatralischer Terrassierung (Rang, Loge, Sperrsitz, Riesling, Parkett), das Zwangsjackenufer der gagagurgelnden Ahr, die Gasthausdiäten für ambulante Patienten, die Ritte der rutigen Ratten in rettenden Wohnmobilrotten, die in den (dem?) Hohlweg gestoßene Schwuchtel Nacht, abschößigen Schiefer über duckenden Kneipenkobolden, das Flache und das Steile, allenthalben Röhre und Analkanal und sonstwie assortierte Anatomie, »o du brüchiger Nippel der blutenden Burg«; und all dies erschauderliche Zeug durchfurcht von streunenden Touristen, ob welcher in ungemessenen Abständen das Phantom des Poeten, ans Geländer über dem Adelbach geheftet, der Statue des Heiligen und Brückenhüters zuwisperte:
nur Nepp, o Muck
.
    Aber die Achillesverse des im Jenseits verschollenen Dichters, sein Leben und Streben, die Röhren und Kanäle, die Schmierzettel und mit undurchsichtigen geometrischen Zeichnungen besudelten Karten des »Nachlasses«, das noch ungeöffnete Testament, die steilen Flächen und verlausten Reben waren im Moment nur Dunkstrünke, sperrig und nicht zu flechten, ebenso die Klinik und der Arzt, die toten Hunde, das possierliche Aufgebot des Sheriffs, die verqueren Leichen auf Genengers Spottesacker, die Frage nach Yüs Verläßlichkeit, und schließlich auch die Frage aller Fragen:
    »Was soll das alles?«
    Diese Frage murmelnd brach Matzbach ins Dorf ein, mit juckendem Nabel und den Kopf voll von Wirrwarr und Zitaten. In der Kneipe, wo Genenger ihn und Jorinde am vorletzten Abend mit Dittmer bekanntgemacht hatte, befestigte ersich wider den Tag mit einer Frikadelle, einem Trester und einem Riesling; dann wanderte er knurrend und ächzend das Nebental hinauf und der vorläufigen Heimstatt zu.
    Jorinde saß am wackligen Allzwecktisch, über Papier gebeugt. Ihre Augen waren geschlossen, blieben dies auch, als Matzbach zu ihr trat. Den rechten Ellenbogen hatte sie auf die Tischplatte gestützt; in der rechten Hand kreiselte wie selbsttätig ein Pendel.
    »Am besten geht’s, wenn man’s kann und nicht dran glaubt«, sagte sie halblaut.
    Matzbach machte kollernde Geräusche in der Kehle. »Meinst du das politisch oder sexuell?« Er beugte sich vor und blies ihr in den Nacken. »Mhmm, feine Gänsehaut.«
    »Ich meine das esoterisch.« Sie öffnete die Augen, legte das Pendel auf die Papiere und schüttelte den rechten Arm aus. »Was hast du getrieben, neben dem üblichen Schabernack?«
    »Ich habe mich mit einem Chinesen unterhalten, der Ahr gelauscht, einen kleinen Mundvoll zu mir genommen.«
    »Mit Schnaps nachgespült, wie’s riecht.«
    »Just. Die Frikadelle wäre sonst

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