Matzbachs Nabel
hob die Hände zur Verteidigung. »Was soll ich mit einem Haus in einem Nebental der Ahr? Bibliothek, Spielgeräte, Weinkeller, alles ganz prima, aber das würde mich der Gefahr eines Heiratsantrags von Jorinde aussetzen.«
»Amüsant, Matzbach.« Jorinde zog die Mundwinkel herab und blinzelte dramatisch.
»Wäre das so furchtbar? Ihr kennt euch doch schon lange genug.«
»Schon recht, Henri, aber das ist es ja. Jorinde erträgt mich, weil wir uns nur in kraftvollen Abständen sehen und sie sich zwischendurch mit wechselnden Gespielen erholen kann. Dämonen nicht zu vergessen. Ich fürchte, die dauerhafte Zusammenführung der Tische und Betten würde ihre sofortige Trennung bewirken, also Lustverlust.«
Wie zur Errettung kam das Essen, über das sie schweigend herfielen. Nach dem letzten Bissen füllte Matzbach die Gläser nach, wozu er die zweite Flasche angreifen mußte, lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarre an.
»Ah, gut. Weiteren Anfechtungen, Anträgen oder Anklagen sehe ich nunmehr gelassen entgegen.«
Jorinde wühlte in ihrer gebackenen Kartoffel, um die letzten Eßbarkeiten nicht zu vergeuden. Dann leckte sie die Gabel ab, langsam, beinahe versonnen.
»Vier Zinken«, sagte Matzbach.
Sie kicherte. »Du bist unmöglich. – Sag mal, wer sind eigentlich die anderen Erben? Yü, klar; und die beiden übrigen?«
Genenger schob den kahlgefressenen Teller von sich. »Daniela Dingeldein und Markus Pauly. Dany ist Yüs Freundin; junge Witwe; ihr Mann war Winzer und ist vor zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben. Sie arbeitet halbtags alsSekretärin bei der Gemeinde, den Rest der Zeit winzert sie. Pauly ist der alte Sargmacher, Schreiner, Zimmermann oder wie immer er sich gerade nennt. Der, bei dem Yü hin und wieder arbeitet. Ansonsten arbeitet er bei Dany mit.«
»Tolle Bude hat der Junge.« Matzbach blies Rauchringe an die Decke. »Extrem asketisch.«
»Wieso?« sagte Jorinde.
Matzbach beschrieb Yüs kahle Behausung; Genenger kratzte sich den Nacken.
»Er hält nicht viel von irdischen oder sonstigen Gütern. Ein paar Bücher – die, die er gerade liest –, ein Reservesatz Klamotten und seine Bettrolle, das ist alles. Dany ist ein bißchen üppiger eingerichtet; er pennt ja meistens bei ihr, da kann er sich von der Optik seiner Bude erholen.«
»Was mich zu einer anderen Frage bringt.« Matzbach legte die Zigarre in den Aschenbecher und griff zum Weinglas. »Dieser Anrufer, der Osiris Schumann nicht aus dem Bett klingeln konnte. Woher hat er Yüs Nummer? Wieso weiß er, daß Yü der nächste Nachbar ist? Und wenn Yü oft woanders übernachtet, was wäre gewesen, wenn der Anrufer Yü nicht zu Hause erreicht hätte? Prost, übrigens.«
»Hmpf.« Genenger zupfte an seinem Ohrläppchen. »Yüs Nummer steht, glaube ich, nicht im Telefonbuch, jedenfalls nicht unter Yüs Namen. Ist, glaub ich, ein Anschluß, der auf Pauly läuft. Wie gesagt, glaub ich alles unbesehen, weiß ich aber nicht. Vielleicht hatte der Mensch die Nummer von Osiris gekriegt – von wegen, wenn was ist, ruf
den
an, der kann mich notfalls finden, oder so.«
»Also, aus dem Telefonbuch kann er’s nicht haben?«
»Ijaaa, schon, aber dann muß er wissen, wonach er sucht. Selbst wenn die Nummer komplett eingetragen wär, mit Adresse und allem, hilft das nix, weil das Haus vorn noch zurBundesstraße gehört, das Haus von Osiris nicht – also andere Adresse.«
»Und wenn Yü woanders, bei dieser Winzerin, übernachtet hätte?«
»Problem, scheidet aber aus.«
»Wieso?«
»Mittwochs gibt’s so was wie nen Jungwinzerstammtisch; das geht manchmal bis in die Puppen. Deshalb ist Yü mittwochs nie bei Dany.«
»Wenn er ihr hilft, ist er dann nicht auch so was wie Jungwinzer?«
»Schon, aber er macht sich nichts aus Massenbesäufnissen.«
»Der Weise geht in sich, der Narr gerät außer sich, der Philosoph bleibt dazwischen?«
»So ungefähr.«
»Das hieße aber doch«, sagte Jorinde, »daß der Anrufer sich auskennen muß. Angenommen, er hat Yüs Nummer von Osiris; angenommen, er weiß, daß Yü in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag zu Haus ist; dann müßte man doch weiter annehmen, daß er Yü kennt. Vielleicht nicht gut, aber irgendwie.«
»Yü leugnet.« Matzbach sog an der erloschenen Zigarre und fummelte mit Streichhölzern. »Und zwar leugnet er entschieden. Er sagt, er hätte ein gutes Gedächtnis, und natürlich könnte es mal vorkommen, daß man eine Stimme am Telefon nicht gleich mit einem Gesicht oder
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