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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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gehen, einfach mal die Grundzüge des Problems darlegen.«
    Laibnitz nickte und blickte zuvorkommend-aufmerksam drein.
    »Ich hatte eine extrem dominante Mutter, was schon in früher Kindheit zu, wie soll ich sagen, ödipalen Interferenzen führte.«
    Laibnitz blinzelte hektisch, sagte aber nichts.
    »Ich erinnere mich, daß ich oft im Bett meiner Mutter schlafen durfte. Nicht nur, wenn mein Vater nicht zu Hause war. Er schlug sein Nachtquartier dann in der Dachkammer auf. Bis zum Beginn der Schulzeit hat meine Mutter mich mit Vorliebe in Mädchenkleider gesteckt und sehr, nun ja, feminin geprägt. Um nicht zu sagen feministisch. Was in der Schule natürlich in ewigen Hänseleien mündete. Ach, es war insgesamt rauh und unerfreulich. Es kommt hinzu – ich bin Jahrgang 39, müssen Sie wissen –, daß in der unmittelbarenNachkriegszeit zuerst Köln, dann Frankfurt, wo wir gewohnt haben, keine besonders behaglichen Orte waren, und die Lehrer, meist Kriegsheimkehrer, ebenso betont maskulin taten, wie die behelfsmäßigen Schulgebäude unweiblich und, äh, ungeborgen waren. Und kalt, furchtbar kalt, vor allem im Winter, aber auch sonst. Ich glaube, damals habe ich, natürlich ohne es formulieren zu können, zum ersten Mal wirklich dringend gewünscht, regressiv-intrauterine Tendenzen ausleben zu können. In dieser Zeit hatte ich auch ewig Angstträume – Korridore, an deren Ende etwas Kaltes, Helles wartet, um mich zu fressen, und ich wußte oder fühlte, hinter mir lag eine warme Kammer, in die ich nicht heimkehren durfte. Das ging gewissermaßen nahtlos in die üblichen pubertären Zwangsträume mit Leitern und Treppen über.«
    Laibnitz zupfte an seiner Brille, schob sie wieder hoch und nickte mehrmals. Dabei machte er mit den Händen Ruderbewegungen.
    »Nun, um diese lange Geschichte kurz zu machen: Später habe ich mich dem, eh, eigenen Geschlecht zugewandt, ohne es eigentlich zu wollen. Einfach, weil ich in jeder Frau meine Mutter sah, die mit inzwischen über achtzig Jahren immer noch genauso dominierend ist wie früher. Ich habe sie länger nicht gesehen; das verursacht zwar Schuldgefühle, die sind aber besser zu ertragen als … die alte Frau.« Er rieb sich die Augen und brachte ein überzeugendes, trockenes Schluchzen zustande. »Mit demnächst dreiundfünfzig, wissen Sie, will ich diesen ganzen Unfug endlich loswerden. Es ist ein scheußliches Gemenge von Anziehung und Abstoßung, von Welt und Mutterleib, von Mann und Frau. Und es ist, als ob ich noch immer mit der Alten vernabelt wäre. Als ob ich erst anfangen könnte zu leben, spät, o wie spät, wenn endlich die Nabelschnur wirklich zertrennt wird. Ein Kollege von Ihnenhat mir im Scherz vorgeschlagen, meine Mutter umzubringen. Können Sie sich vorstellen, daß ich es ernsthaft erwogen habe?«
    »O ja, das kann ich sehr gut. Der Fall ist nicht so ungewöhnlich.«
    »Ich weiß, aber das macht es nicht leichter. Da ich dazu psychisch nicht imstande bin, nicht zu reden von gewissen strafrechtlichen Konsequenzen, habe ich alle negativen Gefühle auf den Nabel transferiert. Er, mein Nabel, ist mir zutiefst widerwärtig geworden, Professor. Er ist scheußlich glitschig, klebrig, ekelhaft, das Emblem aller Gräßlichkeit und Sklaverei. Da, schauen Sie, ist er nicht furchtbar?«
    Matzbach stand auf, knöpfte an seinem Hemd herum, wölbte seinen Bauch vor und drehte das Gesicht zur Seite.
    »Na ja … Ungewöhnlich üppig, und ein ungewöhnlich komplexer Knoten«, sagte Laibnitz.
    Matzbach knöpfte sein Hemd wieder zu, mit fahrigen Händen; er starrte den Professor grimmig an und sagte sehr laut: »Für die kleine Anzahlung da kann ich wenigstens erwarten, daß Sie mich ernstnehmen, oder?«
    »Ja, selbstverständlich, entschuldigen Sie.« Laibnitz stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er nahm den Hörer des Telefons ab, drückte eine Taste, murmelte etwas, lauschte, murmelte wieder, hängte ein und kam zurück.
    »Ich habe schnell mit einem Kollegen gesprochen; wenn Sie mögen, würde er sich gern heute abend mit Ihnen unterhalten. Gegen halb neun.«
    »In Ordnung.« Matzbach sog an der fast erloschenen Zigarre und stieß Qualmwolken aus.
    »Und nun? Was genau wünschen Sie sich von uns?«
    »Sehen Sie, Professor, ich weiß sehr wohl, daß diese Abscheulichkeit meines Nabels eine, wie soll ich sagen, symbolischeManifestation ist, Verdrängung, Gestaltwerdung oder Gestaltgebung anderer Dinge. Ich leide aber seit Jahren daran, an dieser Omphalophobie, und

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