Matzbachs Nabel
irgendwie bin ich überzeugt davon, daß es mir inzwischen gelungen ist, alle Negativität im Nabel zu konzentrieren beziehungsweise auf den Nabel zu übertragen. Mit der Beseitigung des Nabels, gewissermaßen als Opfer oder Exorzismus, könnte alles verschwinden, was sich letzten Endes in dieser Phobie ballt.«
»Eine interessante These«, murmelte Laibnitz.
»Ich habe mich in den letzten Jahren Dutzenden von Analysen unterzogen, habe mich hypnotisieren lassen, Reinkarnationstherapien mitgemacht, ich habe wirklich alles versucht, aber die Omphalophobie ist immer schlimmer geworden.«
»Wie stellen Sie sich das denn praktisch vor? Und was erwarten Sie hinterher von Ihrem Leben?«
Matzbach faltete die Hände hinter dem Kopf und starrte an die Stuckdecke. »Tja, eine schwierige Frage. Ich, eh, ich hoffe wenn die Omphalophobie beseitigt ist, auf welche Weise auch immer, endlich mutterlos zu sein. Gewissermaßen neu geboren, nicht aus einem Uterus, sondern ohne Nabelstrang, aus einem kosmischen Ei vielleicht? Wer weiß. Ich habe weder die Hoffnung noch das Ziel, anschließend als normaler – was auch immer das ist – als normaler Mann mit entsprechend veranlagten Männern zu verkehren und bisweilen auch mit Frauen. Ganz normal wird es nie werden, dazu ist es zu spät, dazu bin ich zu alt. Ich wäre schon froh, wenn es mir gelänge, in den verbleibenden erotisch nutzbaren Jahren von negativ aufgeladener Bisexualität, die nie sehr befriedigend war, zu einer ruhigen, gelassenen, einwilligenden Form der sexuellen Gestaltung zu kommen. Sagen wir, von negativer Bisexualität zu positiver Androgynie.«
»Omphalophobie«, sagte Laibnitz nachdenklich. »Höchst interessantes Problem, mein Lieber. Die Fachliteratur ist da sehr dürftig. Wären Sie eventuell einverstanden, wenn ich Ihren Fall, natürlich ohne Namensnennung, wissenschaftlich aufbereitet publizieren würde?«
»Wenn das wirklich ohne Namensnennung oder verfolgbare Spuren geht … Was die praktische Seite betrifft.« Er blies eine Reihe immer kleinerer Rauchringe, die sich ineinander schoben, hoch im Raum einen überdimensionalen Nabel bildeten und dann an der Decke verwaberten. »Sie betreiben ja hier Schönheitschirurgie.«
»Kosmetische Chirurgie, bitte.«
»Wie Sie wollen. Ich nehme an. Sie können notfalls Leuten ein anderes Gesicht verpassen.«
Laibnitz lächelte. »Das, eh, tun wir gelegentlich, ja.«
»Und deswegen hoffe ich, Ihnen fällt etwas ein, um mich entweder vom Nabel ganz zu befreien, oder aber dieses widerliche Objekt so zu verkleiden, daß ich auch bei der täglichen Reinigung das Ding nicht sehen oder gar berühren muß.«
»Ausfüttern und verkleiden … eine kleine Hauttransplantation … hm.« Laibnitz schloß die Augen. »Könnte gehen. Jedenfalls einfacher als die vollständige Entfernung.«
»Es kommt noch hinzu, daß mich in der letzten Zeit wieder verstärkt Träume heimsuchen. Ist Ihnen Delphi ein Begriff?«
Laibnitz nahm die Brille ab und putzte sie mit seinem Schlips. »Delphi? Sie meinen das antike Orakel?«
»Genau. Nach Überzeugung der Alten – ich meine jetzt die Bewohner der Antike, nicht meine Mutter – also, für die Griechen steckte in Delphi in einem Spalt der Nabel der Welt, der Omphalos. Die Seherin, Pythia, hockte über dem Spalt und sagte wahr. Oder unwahr. Seit einiger Zeit träume ich nun,ich hinge irgendwie in diesem Spalt. Unter mir ist ein mit – ah, Spikes, oder Lanzenspitzen, bewehrter Nabel, der meinem gleicht. Da will ich auf keinen Fall hinabstürzen. Es können natürlich diese Lanzen auch ein vervielfältigter Phallus sein. Und über mir klafft die mit Zähnen ausgestattete Vulva der Seherin, die vermutlich meine Mutter ist.«
»Scheußlich. Aber ich verstehe Sie. Positive Androgynie. Wir sollten das heute abend mit dem Kollegen Blach bereden. Ich wäre sehr dafür, wenn Sie sich jetzt zunächst einfach ein wenig akklimatisieren würden. Ihr Zimmer in Besitz nehmen, vielleicht ein kleines Schläfchen oder ein Gang über das Gelände. Minigolf ist da, Tennis auch, und wenn Sie schwimmen möchten … Nein? Gut. Um halb sieben gibt es Abendbrot. Patienten können, wenn sie Wert darauf legen, in ihren Zimmern essen; ich würde mich aber sehr freuen, wenn Sie uns im Speisesaal die Ehren geben wollten, am Ärztetisch. Ein hochinteressanter Fall. Hochinteressant.«
DRITTER TEIL
NOBEL
23. Kapitel
Nachdem er seine Sachen in dem geräumigen hellen Zimmer untergebracht hatte, wanderte Matzbach
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