Matzbachs Nabel
Nabelscheu?«
»Omphalophobie, Werteste. Ja, will ich.«
»Hm. Naja. Also. Gestern abend war nix mehr, heute nacht wird’s auch nix mehr, vermutlich, wenn du mit ihm wieder so viel Whisky schlucken mußt. Schließ doch mal die Tür ab.«
Matzbach grinste. »Wieso?«
»Na, aus Gründen der Diskretion.«
»Schon wieder im Wasser?«
»Hebt den Feuchtigkeitspegel, Dicker.«
Matzbach klickte mit der Zunge. »Ich glaube, du willst bloß noch mal meinen Nabel sehen, bevor ich ihn mir entfernen lasse, was?«
»Schließt du jetzt ab?«
»Nee. Außer Genenger ist keiner da, und den schreckt nichts mehr.«
»Dann zieh dich aus, Mann.«
»Wieso? Ach so, sonst siehst du den Nabel ja nicht.«
Beim langen, durch ständig ausufernde Wortwechsel etwas hektischen Frühstück faßte Matzbach seinen Kenntnisstand zumindest grob zusammen und skizzierte noch einmal das geplante Vorgehen. Daniela Dingeldein war nicht dabei; sie mußte für die Gemeindeverwaltung tippen und telefonieren und würde bis in die Nacht hinein winzern. Genenger, Bergner, Yü und Jorinde lauschten, widersprachen, empörten sich, zweifelten.
»Aber was soll das alles, Dicker?« sagte die Hexe; dabei rang sie die Hände. »Entweder verschweigst du uns noch was, oder du bist völlig ausgerastet.«
»Dauerzustand«, murmelte Genenger.
Matzbach seufzte. »Na gut. Dann will ich euch noch was dazu erzählen. Ein Teil ist, na ja, ein bißchen phantastisch, reine Spekulation, behalt ich lieber für mich. Aber Finkele hat mir ein paar Flöhe in sämtliche Ohren gesetzt.« Er zögerte; dann schüttelte er den Kopf. »Macht was draus. Also. Er kennt zwei Zugänge zum unterirdischen Wegesystem. Einer ist im Keller; kommt man nicht ran, ohne aufzufallen. Der zweite, der, den wir benutzen werden, klingt wie aus nem Hintertreppenroman. Und zwar geht’s durch einen Brunnen.«
Yü rieb sich die Augen. »Brunnen? Uh.«
»Klingt wie bei Karl May; er hat’s aber sehr genau beschrieben, also … Irgendwie hat er’s durch Zufall entdeckt – sagt er jedenfalls. Der Brunnen hat nen gemauerten Rand, den hat er mal repariert, weil ein paar Steine locker waren oder die Winde gequietscht hat oder so. Dabei ist ihm Werkzeug runtergefallen. Am Schachtrand ist ne eiserne Leiter, also ist er runter, und dabei hat er den Einstieg gefunden, reiner Zufall.«
»Das kann doch nicht alles sein«, sagte Genenger. »Spuck’s schon aus, Mann.«
»Hinter einer Lügengeschichte verbirgt sich, wie Konfuzius sagte, oft eine viel verlogenere Wahrheit.« Yü lächelte ein wenig mühsam.
Bergner spielte mit seinem Feuerzeug. »Ich bin gar nicht sicher, ob ich die Wahrheit wissen will. Im Moment ist alles so wunderbar romantisch.«
Matzbach keckerte. »Wird gleich noch romantischer.« Er beugte sich vor. »Finkele hat mich irgendwann scharf angesehen und gesagt: ›Ist dir schon mal aufgefallen, daß in letzter Zeit ein paar bekannte Leute nicht mehr zu sehen waren?‹ Ich sag: ›Welche meinst du?‹ ›Na ja‹, sagt er, ›Genscher, zum Beispiel, und Schmidt, und noch ein paar.‹ Ich sag: ›Die sind ja auch nicht mehr in irgendwelchen Ämtern, und das öffentlichrechtlose Fernsehen präsentiert uns doch immer nur Leute, die was zu sagen haben und deshalb nicht reden wollen‹.«
»Was soll das werden, wenn’s fertig ist?« sagte Jorinde.
»Tja, Weib, wappne dich. Dann hat er mir erzählt, er hätte vor kurzem noch mal einen Gang durch diese, äh, Unterwelt gemacht, vorsichtig, und dabei aus der Ferne eine erleuchtete Halle gesehen, und da drin saßen Genscher und Schmidt und noch ein paar, bewacht von Leuten mit Schußwaffen.«
»Der Irrsinn der Klinik-Gärtner ist gleich dem Gebell des Kolibris«, sagte Yü. »Je lauter, desto unglaublicher.«
»Konfuzius?« sagte Bergner.
»Tschuang-tsu.«
»Mag sein, mag sein.« Matzbach formte ein Bällchen aus Weißbrotteig und warf damit nach dem Chinesen. »Jedenfalls trau ich ihm nicht. Der Kapitänleutnant als Vollmatrose, okay; auch der Vollmatrose als Gärtner. Aber der Kapitänleutnant als Gärtner in einem Betrieb, der offenbar irgendwie mit dem Staatsapparat zusammenhängt, positiv oder negativ, den nehm ich ihm nicht ab. Nicht einfach so.«
»Vergiß nicht den Pinscher«, sagte Genenger. »Osiris hatte nichts gegen Hunde, jedenfalls nicht grundsätzlich; hat er oft genug gesagt. Aber er hat diese verzärtelten, verzüchteten Kleinviecher gehaßt …«
»Du meinst, wenn Finkele ihn wirklich hätte … na ja, ehren wollen,
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