Matzbachs Nabel
gingen.
»Also, keiner von Ihnen ist echt, nicht wahr?« sagte Matzbach.
»Oben auch nicht.« Nowottny wieherte vor Lachen. »Jedenfalls die meisten.«
»Ich nehme an. Sie sind Teil dessen, was ein verstorbener Schriftsteller den ›Apparat‹ nannte. Sie werden eingesetzt beziehungsweise ausgetauscht, wenn etwas die wirkliche Machtverteilung bedroht.«
Wulf-Mathies II lächelte; irgendwie wirkten in dieser Lage ihre Grübchen übertrieben schelmisch. »Die wirkliche Macht, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt in Händen der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer.«
Matzbach seufzte. »Hätt ich mir denken können, daß nix dabei rauskommt. Ich vermisse ein paar Gesichter – Kohl, Vogel, Schäuble, Lambsdorf, die Rote Heidi, zum Beispiel.«
Rau III tippte mit dem Fingernagel gegen seine Schneidezähne. »Sie tun mir leid, Mann. Ich will Ihnen was sagen, damit nicht alles umsonst war. Wir sind nur Knallchargen,wenn Sie so wollen. Ein paar bekannte Köpfe gehören wirklich zur Organisation, die Sie ›Apparat‹ nennen; für die gibt es keinen Ersatz. Ansonsten …« Er zuckte mit den Schultern und dem Auge. »Die wichtigsten Leute der Organisation kennt keiner; sie arbeiten als Abteilungsleiter oder Vizedirektoren irgendwo. Wir sind nur da, um Aushängeschilder auszutauschen, wenn mal wo was schiefläuft. Was, das wirklich an die Substanz geht.«
»Abschaffung von Beamtenstatus und Parteienfinanzierung?« sagte Matzbach. »Mehrheitswahlrecht? So etwas?«
»Sie sind gar nicht schlecht.« Nowottny II kniff die Augen zusammen; Raus Tic verlangsamte sich jäh. Er musterte Matzbach aufmerksam, möglicherweise mit einer Art Hoffnung.
»Entlassung von Regierungsmitgliedern, die Probleme aussitzen, statt Entscheidungen zu fällen? Umstellung der Gewerkschaften von Ideologie auf Praxis – lineare Erhöhungen statt prozentualer; realistische Ziele, notfalls mit Verzicht, wenn dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können? Entmachtung der überbezahlten Funktionäre zugunsten der Arbeitenden?«
Wulf-Mathies II fletschte die Zähne, schwieg aber.
»Also Rückgabe der Macht an das Volk, mit einem Wort.«
»Mit einer Floskel«, murmelte Nowottny II.
»Was heißt
Rück
gabe?« Rau III fuchtelte mit den Händen; der Tic wurde wieder aktiver. »Erstmalige Übergabe. Ihre fünf Minuten sind fast vorbei.«
Matzbach zögerte einen Moment, dann deutete er auf Wulf-Mathies II und Nowottny II. »Sie beide, raus, zur Klinik. Sie da, Rau oder wie immer Sie wirklich heißen – Sie kommen mit uns. Vielleicht fällt Ihnen ja noch was ein, wenn wir draußen sind.«
»Danke«, sagte der Mann mit dem Tic; es war kaum zu hören. Nowottny II, halb in der Tür, drehte sich noch einmal um.
»Aus dem da kriegen Sie nicht viel raus. Da müßten Sie schon einen der Köpfe haben.«
»Wen denn?«
»Sie haben zwei der wichtigsten Namen genannt. Aber die sind nicht hier gewesen. Ade.«
»Welche?« Matzbach wandte sich an Rau III.
»Ich weiß nicht, wen er meint.«
»Wir werden die Befragung draußen fortsetzen. Ich nehme an, mit Hilfe von Daumenschrauben oder chinesischer Wasserfolter fällt Ihnen noch was ein.«
»Schädel kahl scheren und Tropfen drauf?« sagte Rau III. »Können Sie dafür statt Wasser ein Pils nehmen?«
»Notfalls auch Ahrburgunder. Wir müssen raus.«
Auf dem Weg zur Tür zögerte Rau III; er zupfte an Matzbachs Ärmel.
»Hören Sie … Ich weiß nicht, ob das Ihr Ernst war, aber …« Er versuchte, mit dem linken Zeigefinger das Zucken um sein Auge zu beeinflussen. »Es wird nicht nötig sein. Was ich weiß, sag ich Ihnen. Sogar gern. Hauptsache, ich komm hier raus.«
»Das berühmte Syndrom?«
»Genau. Aber ich weiß wirklich nicht, wen er mit den Köpfen meint. Die wichtigsten Leute sind anonymer Mittelbau, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Bergner gestikulierte mit seiner Uzi; Matzbach nickte ihm zu und zog Rau III zur Tür.
»Klappen Sie mir bloß nicht zusammen. Kommen Sie ohne Gewaltanwendung mit?«
»Ja. Vielleicht … vielleicht können wir ja wirklich entkommen. Draußen, mein ich.«
Sie gingen hinaus. Genenger stand an der Tür des ersten Schotts, hielt sie offen und blickte in den Gang, an dessen – sichtbarem – Ende eben Wulf-Mathies II verschwand.
Durch den Gang, fern, aber schon eindeutig zu hören, näherten sich Motorfahrzeuge; in das Rollen starker Maschinen mischten sich Schreie ausweichender Passanten.
»Scheiße«, sagte Genenger. »Der Weg nach …«
Irgendwo
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