Matzbachs Nabel
bemüht, den zusammengesackten blutigen Leichnam im Sessel zu ignorieren. Neben ihm, auf dem Pult, in Reichweite der leblosen Hände, lag eine Magnumwaffe, die auf kurze Entfernung jedes Opfer zerfetzt hätte; an der Wand, ebenfalls griffbereit und, wie Matzbach feststellte, geladen und entsichert, stand eine G 11, die neueste Ausführung des NATO-Sturmgewehrs.
»Beruhigt dich das?«
Jorinde flatterte mit den Lidern und beugte sich über das Schaltpult. Die Monitore zeigten mindestens vier weitere Kamerabilder in unmittelbarer Nähe. Oder in Räumlichkeiten, die möglicherweise am Gang lagen. Jorinde studierte die zahllosen Knöpfe und Kippschalter und Regler, fand in einer Schublade ein labyrinthisches Diagramm, bei dessen Anblick Matzbach Kopfschmerzen bekam, folgte mit der Fingerspitze irgendwelchen imaginären Verbindungen, biß sich auf die Unterlippe und betätigte nacheinander ein paar Knöpfe. Die Segmente des Monitors erloschen.
»Entweder hab ich die Kameras ausgeschaltet«, sagte sie leise, »oder den Monitor. Jedenfalls kommt hier nichts mehr an.«
Matzbach schob den Rollsessel in eine Ecke, die Lehne zur Kabine gewandt. »Kannst du irgendwas sehen, was die Gänge und die Schotts angehen könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann auf gut Glück in sämtlichen Schubladen kramen, aber das würde wahrscheinlich Stunden dauern. Und dann wär ich nicht sicher, ob ich das Richtige finde.«
»Wie meinst du das?«
Sie seufzte. »Wahrscheinlich gibt es eine Art Gesamtschaltung für alle Zu- und Ausgänge. Das war jedenfalls in der einen Anlage so, in der ich damals war. Die ist dann aber so wichtig, daß jeder Posten sie auswendig weiß. Also gibt’s vermutlich keine Anleitung. Und wenn ich auf gut Glück Knöpfe drücke, klingelt vielleicht in Brüssel oder Moskau ein Telefon, oder die ganze Anlage hier fliegt in die Luft.«
»Kannst du’s trotzdem versuchen?«
Sie nickte; Matzbach klopfte ihr auf die Schulter. »Prima Mädel. Für wann soll ich das Aufgebot bestellen?«
Sie lächelte fahrig. »Laß uns erst mal heil hier rauskommen. Und aus dem Knast.«
Matzbach ging zurück zu den anderen. »So«, sagte er. »Dann wollen wir die feinen Clubräume mal näher untersuchen.«
»Was spielen die hier eigentlich?« sagte Genenger.
»Ich fürchte, ich weiß es, aber es ist derart monströs, daß ich es mir selbst noch nicht zugeben mag. Fertig?«
Die anderen nickten. Bergner stand mit der Uzi bereit, Yü hatte sein Messer in den Gürtel gesteckt und Matzbachs Zweitwaffe in der Hand, den Revolver.
Die Tür, die vom Gang nach links führte, war mühelos zu öffnen. Matzbach linste hinein, durch den ersten kleinen Spalt, dann stieß er die angehaltene Luft aus, öffnete die Tür weit und ging in den Raum dahinter. Die anderen folgten.
Yü riß die Augen auf; Bergner grunzte; Genenger begann zu kichern, dann ging er zurück, um draußen zu wachen.
Matzbach hielt die Pistole immer noch schußbereit. Er trat noch einen Schritt vor, räusperte sich und sagte sehr laut:
»Einen besonders schönen guten Abend allerseits. Nobel haben Sie’s hier. Bei allen Göttern – nobel.«
24. Kapitel
Es dauerte eine Weile, bis die phantastische Szenerie erstarrte. Die Leute an den Spieltischen drehten sich zum Eingang, nach und nach, wie aufgezogen; die Essenden legten Bestecke weg und ließen Gläser sinken; auf dem gläsernen Laufsteg stieß die braunhäutige Blondine, die mit einem ebenfalls braunhäutigen, durchtrainierten und wie sie nackten jungen Mann eine komplizierte Kopulation vollzog, noch einen spitzen Schrei aus. Die fast ausnahmslos jungen Kellnerinnen und Kellner, nahezu alle in durchsichtigen Umhängen, blieben mit Tabletts und allem, was sie trugen, stehen wie Puppen, deren Mechanismus abgelaufen ist. Das Roulette drehte sich langsam zu Ende, aber niemanden interessierte noch, bei welcher Zahl die Kugel liegengeblieben war. Nur einer der Schachspieler machte noch einen Zug, sagte »Matt« und stand langsam auf.
Der Saal war nur Teil eines Saalsystems; die Räume gingen ineinander über. Auf dem langen, festlich gedeckten Eßtisch, der sich durch mindestens zwei Säle zog, fiel das Licht der Kerzen in Silberleuchtern und der vielfarbigen Kristallüster auf Hummerberge und Kaviarhügel, auf Champagnerkübel und Weinkörbchen. Jemand stieß ein Glas um, jemand quiekte.
Auf Matzbachs Geste hin trat Bergner an die Kopfseite des Saals, wo ihn alle oder fast alle sehen konnten, reckte die Uzi und
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