Mauer, Jeans und Prager Frühling
sozialistischen Bürger sich das Wasser abschlugen. Das war für sein Verständnis reine Blasphemie.
»Die Doilädde muß wägg, ja?!« So oder so ähnlich wird er sich wohl ausgedrückt haben; und ob man wollte oder nicht – sein Wille mußte geschehen.
Nun gab es von einigen Genossen tatsächlich Proteste gegen diese Aktion: »Woanders gibt es keine Toiletten, und hier wird ein geschaffener Wert vernichtet!«
Ein ehemaliger Journalistikstudent erzählte mir: »Wir hatten kein Problem damit, daß die Kirche gesprengt wurde, und waren gegen die Demonstranten. Zudem hatte man uns gesagt, daß die Kirche Bombenschäden hätte. Obwohl ich mir das im Verhältnis heute nicht mehr vorstellen kann – für die Erhaltung der unterirdischen Toilette schrieben wir tatsächlich an Ulbricht, Fröhlich und den LVZ-Chef Werner Kessel. Es gab Aussprachen in der SED-Kreisleitung. Studenten unserer Fakultät hatten seinerzeit am Karl-Marx-Platz mit ausgeschachtet und kämpften um die ›Bingklbuhde‹, aber es nützte allesnichts, eines Tages war das Ding wie ein Spuk verschwunden.«
Eine kleine Grünanlage überdeckte den Ort des Anstoßes. Allerdings blieb die unterirdische Anlage erhalten und wurde nach Ulbrichts Tod in aller Stille wieder zum Leben erweckt.
Als ich dem ehemaligen Journalistikstudenten sagte, daß ich in jenen Tagen gegen die Sprengung der Kirche demonstriert hatte, lächelte er verlegen, reichte mir dann, einer inneren Eingebung folgend, die Hand und meinte: »Na, vertragen wir uns wieder.«
Ich habe seine Hand angenommen. Er ist schließlich schon genug gestraft, muß er sich doch als ehemaliger Genosse bei der Springer-Presse sein Brot verdienen …
Übermut
Ja, auch ich wurde von ihm erfaßt! Von jenem jugendlichen Übermut, der einen überfällt wie ein Dieb in der Nacht, der nur dem Gaudi in einer bestimmten Situation geschuldet ist, und während man ihm nachgibt, verschwendet man keinen Gedanken an irgendwelche Folgen.
Mit meinem Freund Pepe und – wie ich dem Kalender jenes Jahres entnahm – einem Eberhard kam ich nach dem Besuch von »Corso«, »Kalinin« und »Erdener Treppchen« auf die Idee, jetzt wäre doch die richtige Zeit, um noch in die Oper zu gehen! In das Berliner Gastspiel von »Don Giovanni«. Selbstverständlich so, wie wir gerade angezogen waren – mit Pullover und Jeans.
Und selbstverständlich ohne zu bezahlen!
Die Einlaßdamen, so meinten wir, müßten wir bloß in hochstaplerischer Weise beschwatzen. Meine beiden Trinkkumpane waren von der Idee sehr angetan. Wir steuerten also in heiterer Stimmung die Oper an und erzählten den Einlaßdamen im Berliner Dialekt – dachten wir doch, daß der sich für so ein Vorhaben besonders eigne, wir seien Studenten der Theaterhochschule und müßten theatersoziologische Studien betreiben.
Allet klar, wa!?
Nun, so berichteten wir den aufmerksam zuhörenden netten Mitarbeiterinnen, würden wir zwar die Inszenierung kennen, wie sie in Berlin auf die Bühne gestellt wurde, aber uns interessiere, wie das Ganze auf Leipziger Verhältnisse zugeschnitten, wie es »inszenatorisch« bei diesem Bühnenraum gelöst worden wäre. Und so weiter und so fort. Resümee: die Damen, die zunächst noch Spuren von Mißtrauen zeigten, waren mehr und mehr von uns beeindruckt. Da die Vorstellung schon begonnen hatte, so entschuldigtensie sich, könnten sie jetzt nicht die Türen ins Parkett öffnen, wären aber bereit, uns sogleich im Rang auf drei Plätze zu schleusen.
Als nach dem ersten Akt das Licht im festlichen Opernhaus erstrahlte, sahen uns die Besucher in unserem unfestlichen Aufzug mißbilligend an. Wenn man uns so reingelassen habe, war in den Gesichtern zu lesen, müßten wir ganz besondere Typen sein. Vermutlich Ausländer. Oder Leute vom Fernsehen.
Zur Pause liefen wir auf dem Gang auf und ab, ergingen uns lauthals in Bemerkungen über theatersoziologische Fragen und diskutierten die Inszenierung an sich.
»Schon Meyerhold sagte in seiner Rede im Jahre 1920 über die italienische Oper …«
»Mozart und Wien – ich habe da bei Adorno einen Aufsatz gefunden, wo er ganz präzise darstellt …«
»Die haben die Inszenierung auf die Leipziger Bühnenverhältnisse kongenial übertragen.«
»Aber der Leuchter im zweiten Akt stand wieder viel zu weit links!«
»Das haut ja das ganze Bild kaputt!«
Einige Leute schienen von unserem Wissen beeindruckt.
Das Dumme war, daß keiner von uns überhaupt das geringste Interesse an Oper hatte, und
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