Mauer, Jeans und Prager Frühling
alte deutsche Wort »Kapelle«. Der Club wurde irgendwann geschlossen, aber es gab eine Alternative: das »studio g« im »Gutenberg-Keller«. Dort wurde ebenfalls gejazzt, heiß getanzt, und dort hörte ich zum ersten Mal die frechen Lieder von Kurt Demmler, einem Medizinstudenten aus Klingenthal, der zur Gitarre sang, zum Beispiel sein damals beliebtes Lied von der »Brunst in der Straßenbahn«. In den siebziger Jahren schrieb Demmler vor allem viele schöne Texte für Veronika Fischer.
Auch ich hatte mich in den Reigen »dichtender« junger Menschen eingereiht und gehörte in jener Zeit einem Lyrik-Zirkel an, der von Manfred K. geleitet wurde. K. war alles andere als ein Lyriker, zwei Bücher von ihm mit den spröden Titeln »Kautschuk« und »Gummi« waren im Land einigermaßen bekannt. Vom Versmaß verstand er wenig. Durch ihn hatte die Partei aber die jungen Dichter der Stadt im Visier, er verfaßte fleißig Berichte für die Staatssicherheit. K. gehörte zu jenen Schriftstellern, die mitunter mehr Manuskripte für die »Firma« als für ihren Ruhm schrieben.
Zum Zirkel kam einer, der heute zu den bedeutendsten und preisgekrönten deutschen Autoren zählt: Wolfgang Hilbig. Einer, der seinen Weg unbeirrt ging, er ließ sich weder korrumpieren noch irgendwie vereinnahmen. Ein stiller, sehr wortkarger Mensch damals, ernst, im besten Sinne wie ein Proletarier wirkend, und er arbeitete tatsächlich auch als Heizer. Ein Angehöriger der Arbeiterklasse; dashätte ihm normalerweise alle Türen in diesem Land öffnen müssen – wenn er mitgemacht hätte!
»Der traut sich was!« dachte ich damals, als er im Zirkel einen Text über Deutschland vorlas. Wir schrieben alle mehr oder weniger über das Leben in der DDR, die Natur und sonst was, und der Hilbig dachte über Deutschland nach … das es ja schon seit zwanzig Jahren nicht mehr gab! Und das es auch so nie wieder geben würde … dachten wir.
Wolfgang Hilbig war, wie es Fritz-Jochen Kopka formulierte, »das Sorgenkind des Zirkels, ein ausgesprochener Individualist, der völlig ungeschützt seine Gedichte schrieb und vorlas«.
ihr habt mir ein haus gebaut
laßt mich ein andres anfangen.
ihr habt mir sessel aufgestellt
setzt puppen in eure sessel.
ihr habt mir geld aufgespart
lieber stehl ich.
ihr habt mir einen weg gebahnt
ich schlag mich
durchs gestrüpp seitlich des wegs.
sagtet ihr man soll allein gehen
würd ich gehen
mit euch.
Was sollte die DDR mit so einem widerspenstigen schreibenden Arbeiter anfangen?
Ich habe mit Wolfgang Hilbig über jene Zeit gesprochen, habe ihn gefragt, ob er sich im Zirkel allein gelassen fühlte.
»Allein gelassen …? Nein, nicht direkt. Ich kam aus einer Kleinstadt, aus einem Industrienest, und für mich war das eigentlich was Tolles, zu diesem Zirkel fahren zu können. Ich war wohl auch gar nicht so auf Anerkennung angewiesen. Außerdem hatte ich Bestätigung im Zirkel durch Leute wie Gert Neumann und Siegmar Faust. Vorher war ich in Altenburg im Zirkel schreibender Eisenbahner gewesen. Dagab es gar niemand, der schrieb, das waren nur Hausfrauen, die über Literatur quatschten. Ich war der einzige, der schrieb, und der einzige, der arbeitete. Von dort kam ich dann zum Zirkel nach Leipzig.«
»Du wurdest quasi delegiert …«
»Na ja, das war eine Strafdelegierung. Es war ja in der DDR so, daß man eine Chance erhielt, und da kam man in einen Zirkel, wo die wußten, da wird besser auf mich aufgepaßt.«
»Wann hast du angefangen zu schreiben?«
»Als Kind schon. Ich hab richtige Serienhefte geschrieben mit einem Freund zusammen. Mit so einer Figur wie Billy Jenkins. Diese Geschichten gingen in der Schule reihum. Es gab andauernde Nachfrage. Mein Freund beschränkte sich aber bald auf die Zeichnung der Titelbilder, und ich habe die Abenteuer geschrieben. Diese Hefte lasen teilweise sogar die Lehrer.«
»Gedichte hast du damals noch nicht geschrieben …«
»Nein, das kam viel später.«
»Dann warst du also irgendwann Heizer. Nun heizt man ja nicht unentwegt …«
»Nein, die Hälfte der Arbeitszeit hast du eigentlich frei, nur eine Überwachungsfunktion. Ich konnte also lesen und schreiben. Außerdem durfte mein Kesselhaus niemand betreten, das war ein Taburaum …«
»Die staubigste Nische der DDR.«
»Da drin war ich sicher.«
»Ich entsinne mich, daß du damals in den Sechzigern im Zirkel ein Gedicht vorgelesen hast, das uns alle verblüfft hat, wir waren sprachlos. In einer Zeit, in der die
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