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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Bundesrepublik und die DDR existierten, hast du plötzlich ein provokantes Gedicht über Deutschland geschrieben …«
    »Ja, ich kann dir nicht mehr sagen, wie das damals gekommen ist …«
    Der Zirkelleiter K. bzw. IM Frank berichtete am 27. April 1968 einem Stasi-Mitarbeiter, wie der Zirkel am 23. April verlaufen war. Und der packte es dann in Prosa:
    »Hilbig las vier Naturgedichte vor, die außerordentlich gut waren. Danach las er sein ›Deutschland‹-Gedicht vor. Frank sagte nach der Lesung des letzten Gedichtes: ›Ich schlage vor, über die vier Naturgedichte zu diskutieren – über das ›Deutschland‹-Gedicht aber nicht. Hilbig ist bei uns aufgewachsen, hat unsere Schule besucht, ist bei uns in der Republik erzogen worden. Er soll zu seinem ›Deutschland‹-Gedicht Stellung nehmen. Wir lehnen es ab, über dieses Gedicht zu diskutieren.‹ In seiner Stellungnahme zu dem ›Deutschland‹-Gedicht stammelte Hilbig, daß er ein Gedicht so verstünde, daß es provozieren soll.«
    Einige im Zirkel, so erinnere ich mich, zumeist Mitglieder der SED, wandten sich gegen solcherlei Provokationen. Ich weiß nur, daß ich mich nicht an der anschließenden Diskussion beteiligte, als einige über Hilbig herfielen und von ihm »eine persönlich-konkrete Stellungnahme« forderten.
    »H. war außerstande, dieser Forderung nachzukommen. Er zitterte am ganzen Leibe und sagte, daß er heute nicht zu seinem Gedicht und zu der hier geäußerten Position ›ein Gedicht müsse provozieren‹ Stellung nehmen kann.«
    Nun forderten manche Zirkelteilnehmer das für den nächsten Abend, zwei Wochen darauf: »1. – über das Gedicht und 2. – warum er das Gedicht vorgelesen hat.«
    So funktionierte der gewöhnliche Spätstalinismus in einem Leipziger Literaturzirkel. Ich selbst hätte mich nie getraut, systemkritische Texte in diesem Kreis vorzulesen, die zeigte ich nur Freunden. Nach Ende der Zirkelstunde sagte Wolfgang Hilbig zu K. laut Bericht: »… Ich bin nur froh darüber, daß ihr mich nicht rausschmeißt, ich bin überall rausgeflogen.«
    Auch das war für jene Zeiten typisch, es stellte sich noch eine Art Dankbarkeit ein, wenn es nicht gleich zum Schlimmsten kam. Und wie sah der Dichter K. das Werk?
    »Zum Gedicht gibt Frank folgende Einschätzung:
    Grundhaltung: nihilistisch. Thema: ganz Deutschland […] Die im Gedicht gezeigte Haltung ist nicht ausschließlichein Schlag gegen unsere Gesellschaft allein, sondern negiert grundsätzlich alles. Sowohl den Kommunismus als auch den Faschismus.«
    Wolfgang Hilbig kommentiert diese Vorwürfe knapp vierzig Jahre später: »Die wollten eigentlich keine ›schreibenden‹, sondern ›lügende Arbeiter‹, denn die Arbeiter an der Basis, die sahen ja, was eigentlich in diesem Lande los war – an der Produktionsfront, die einem Chaos glich. Dies Land, und das haben Arbeiter schon lange vor 89 gesagt, war am Ende.«
    Zum Zirkel gehörte auch Gerti Tetzner. Von ihr erschien später »Karen W.« – ein vielgelesenes und anerkanntes Buch.
    Auch Fritz-Jochen Kopka hatte das Zeug zu einem echten Literaten, aber es genügte ihm, Texte für Barbara Thalheim zu schreiben. Ohne diese Texte hätte es meiner Meinung nach nie »die Thalheim« gegeben. 1968 entstand das folgende Gedicht von Kopka:
    der verwundete himmel
    die bäume haben ihr blattwerk satt:
    noch nie waren die straßen so gelb
    bedeckt
    wie im herbst
    »endlich frei«
    jubeln die bäume
    und glauben
    eine große musik in ihren ästen zu hören
    die aber sind
    wie wegweiser zum steinzeitalter
    und reisen starre wunden
    in den atmenden himmel
    Ich tippte meine Gedichte auf einer uralten Continental-Schreibmaschine und entsinne mich noch der ewig blauen Finger beim Farbbandwechseln und Reinigen der Typen.
    Es schmeichelte, als tatsächlich drei, vier Gedichte von mir in der NDL, der »Neuen Deutschen Literatur«, abgedruckt wurden. Das erste handelte vom »Stellvertreter«, jenem Stück von Hochhuth, das die Gemüter damals erhitzte. Welcher Schreiber möchte seine Arbeiten nicht gern schwarz auf weiß sehen? Es war für mich eine wichtige Bestätigung. Mancher der Texte zeigte besonders meine trotz aller Repressionen im Land grundlegend optimistische Lebenseinstellung, manchmal machte ich auch Nichtiges zum Thema. Vielfach spielten Impressionen aus Städten und die Natur eine Rolle.
    bericht über die mittagsstunde
    in einer großen stadt
    ein falter
    – verwandt mit dem regenbogen –
    überfliegt eine kreuzung bei rot
    Wir

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