Mauer, Jeans und Prager Frühling
in den Strafvollzug, ehe er in den Westen ausreisen durfte.
Als ich damals nach der Lesung auf der »Weltfrieden« wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war ich dochsehr froh, daß uns nicht einige unauffällige Herren in Empfang nahmen. Etwas mulmig war mir bei dieser Veranstaltung schon geworden. Ich hatte gemerkt, daß ich in einen Kreis geraten war, den die DDR-Tschekisten wohl als politisch hochgefährlich einschätzten.
Mit »meinen« Leuten ging ich danach in eine Kneipe, um ein Bier zu trinken. Dort kamen wir – ausgerechnet – mit drei Studenten der marxistischen Philosophie ins Gespräch und ins Debattieren. Sie schleppten uns nach Kneipenschluß mit in ihre Studentenbude, und wir diskutierten über das Leben in der DDR, brüllten uns bis gegen halb zwei vor allem wegen der Sprengung der Unikirche wechselseitig an. Die Unkenntnis jener jungen Leute, die zwar im gleichen Land lebten, war einmal mehr verblüffend für mich.
Was wird aus ihnen geworden sein? Welcher Arbeit werden sie nachgehen? Keiner? Weil sie ihr zwar nachgehen, aber keine finden? Ich glaube nicht, daß sie zu den Arbeitslosen zählen. Ich denke, sie werden – wie viele ihresgleichen – inzwischen als Geldanlageberater oder Versicherungsvertreter untergekommen sein.
Denn die Leute mit Worten überrollen – das konnten sie schon damals gut.
Damals in Prag
Daß man sich auf den ersten Blick in eine Stadt genauso wie in eine Frau verlieben kann, ist bekannt. Mir ging es in Prag so. Und ich bin dieser Stadt treu geblieben … also gut, unter uns, ich hab sie zu DDR-Zeiten zwei, drei Mal mit Budapest und Kraków betrogen … aber sonst …
Wir sagten übrigens immer Krakau und nicht »Krakuff«. Offiziell war das unerwünscht; auch Karlsbad sollte nicht mehr Karlsbad heißen, obwohl es in der DDR Karlsbader Becherbitter und Karlsbader Oblaten zu kaufen gab. Im Leipziger Ring-Café fand ich einmal während der Messe auf der Speisekarte »Toastschnitte à la Karlovy Vary«.
»Klops à la Kaliningrad« hab ich dagegen nie entdeckt.
Die Königsberger Fleischbällchen sind den staatlichen Gastronomen die ganzen Jahre über durchgerutscht. Und es schien sich auch nie ein sowjetischer Genosse beschwert zu haben.
Mit einem Lehrer diskutierte ich in meiner Berufsschulzeit, daß wir doch auch nicht nach Warszawa oder Praha fahren würden, warum können wir also nicht nach Danzig oder Karlsbad reisen. Keine Chance. Es war eben in den Augen der Funktionäre ein Politikum und damit tabu.
1963 fuhr ich das erste Mal nach Prag und auch das erste Mal in meinem Leben ins Ausland. Mit meinem Freund Rudi. Zwei Gärtnergesellen von 19 Jahren waren wir.
Mit dem Deutschen Reisebüro ging es drei Tage in die goldene Stadt. Busfahrt ab Zwickau, Essen, Unterkunft, Stadtrundfahrt, Show in der »Alhambra«. Für 150 Mark!!!
Und wissen Sie, wo wir wohnten?
Im Hotel Ambassador am Wenzelsplatz!
Das ist der Nobelschuppen, vor dem heutzutage die großen bunten Busse mit WC und Kaffeebar halten und einenSchwapp gleichartig modischer Touristen auf den Boulevard schütten.
Damals waren wir eben noch wer im Osten! Wir besuchten vor allem die Stadt an der Moldau. Die westliche Mode, östliche Städte zu bereisen, kam später auf.
In einer Bar am Wenzelsplatz lernten wir einen Jugoslawen kennen, der uns sofort einlud, mit ihm seinen Geburtstag zu feiern. Seitdem habe ich nie wieder einen Slibowitz angerührt!
Rudi litt, als wir auf dem Wenzelsplatz wieder frische Luft atmeten, auch sichtlich unter der alkoholischen Attacke des Balkanbewohners. Als wir in der Früh die Halle unseres Hotels betraten, wollte der livrierte Hotelangestellte uns zwei junge Schnösel tatsächlich mit dem Lift nach oben fahren. Mein bleicher Freund Rudi ließ es zum Glück gar nicht erst so weit kommen und winkte ab. So liefen wir nach oben, wo er es dann kommen ließ. Als ich endlich in meinem weißen Rokokobett lag, drehte sich vor meinen Augen ein Kristalllüster in allen Spektralfarben dieser Welt.
Vier Jahre später war ich wieder in Prag. Als Student. Alle Kommilitonen meines Studienjahres nebst Dozenten fuhren in die Moldaustadt.
Irgend etwas mit dem Geldumtausch klappte nicht. Wir besaßen zu wenig Kronen. Ich hatte inzwischen mutig angefangen, Gedichte zu schreiben, und eins – über den Wenzelsplatz – an die Redaktion der Zeitschrift »Im Herzen Europas« geschickt. Die druckten aber nur Texte tschechischer und slowakischer Autoren. Die Redakteurin Lenka
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