Mauer, Jeans und Prager Frühling
nur daß hier der Blick über die Moldau zum Hradschin den Genußdes Müßiggangs verdoppelte. Eine Oase. Irgendwann schrieb ich über das
Café Slavia
Mein Wohnzimmer in Prag.
Wortwolken hüllen mich ein.
Das Saxophon plaudert mit dem Piano.
Männer applaudieren einer Frau mit den Augen.
Die Moldau vorm Fenster fließt ohne Plan.
Ein Kellner serviert den neuesten Witz.
Das Lachen ist unbezahlbar.
Prag begeisterte mich: das quirlige Leben am Wenzelsplatz, die monumentalen Jugendstilbauten, das Gassengewirr der Altstadt … der uralte Judenfriedhof … der wunderschöne Weg über die Karlsbrücke auf die Kleinseite … und schließlich sah ich auch den etwas verwunschenen
Waldsteingarten
Ein bronzenes Pferd bäumt sich auf.
Vielleicht ist eine Schlange im Garten.
Vögel streichen durchs Gesträuch. Wasser kreiselt.
Blätter atmen tief.
Eine satte Raupe wartet auf Hunger.
Liebespärchen sonnen ihre Gefühle.
Alte Bäume lugen über die Mauer.
Nymphen verharren im Tanz.
Erinnerungen knirschen im Kies.
Im Herzen Europas
Das Zeitschriftenangebot in der DDR war erbärmlich. Den »Guten Rat« oder das »Magazin« konnte man nicht einfach am Kiosk kaufen, nein, die Nummern waren so begehrt, daß schon einer seinen Fortsetzungsbezug kündigen mußte, ehe der nächste in den Genuß eines Abos kam.
Oft erbte man solche Zeitschriften – nach einem Todesfall in der Familie.
Die monatliche Ausgabe vom »Magazin« wurde besonders heiß ersehnt, nicht nur wegen des einen der Republik zugestandenen Aktbildes, sondern auch wegen interessanter Artikel und Fotos. Beliebt und sofort vergriffen waren »Wochenpost«, »Eulenspiegel« und die Modezeitschrift »Sibylle«. Irgendwann erfuhr ich von zwei Zeitschriften in deutscher Sprache, die in der DDR-Öffentlichkeit relativ unbekannt waren, weil man dafür nicht werben wollte. Die eine hieß »Revue«, es war eine jugoslawische Monatsschrift, die andere »Im Herzen Europas«, sie kam aus der ČSSR. Beide waren für den westlichen deutschsprachigen Markt konzipiert, aber auch in der DDR zu beziehen, und sie brachten mir viel Farbe in den Alltag.
Die »Tschechoslowakische Monatsschrift«, wie sie im Untertitel hieß, erschien in deutsch, englisch, französisch, italienisch und schwedisch, sie war bestimmt das interessanteste Magazin des Ostblocks. Lenka Reinerová verantwortete als stellvertretende Chefredakteurin die deutsche Ausgabe. Sie ist heute die letzte deutsch schreibende Schriftstellerin in Prag, die letzte in dieser langen deutsch-tschechisch-jüdischen Tradition, die mit großen Namen wie Kafka, Werfel, Brod und Kisch verbunden ist. Sie erlebte noch vor dem Krieg diese blühende Kultur. Mit Kisch und Weiskopf war sie befreundet. 1936, 20 Jahre jung, arbeitete sie schonals Journalistin für die »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung«. Lenka Reinerová sagte mir: »Was man heute links nennt, war für mich damals einfach fortschrittlich.«
Sie konnte nicht lange in der Zeitung tätig sein, denn drei Jahre später, nach dem Einmarsch der Deutschen, mußte sie als Jüdin sofort fliehen. Zunächst nach Frankreich, dort wurde sie interniert, über Marokko entkam sie nach Mexiko. Im Exil freundete sie sich mit Anna Seghers an und mit Steffi Spira, der bekannten Schauspielerin.
Lenka Reinerová kehrte nach Kriegsende mit ihrem Mann Theodor Balk, dem Arzt und Schriftsteller, nach Europa zurück. Sie lebte mit ihm zunächst in Belgrad, ab 1948 wieder in Prag. Anfang der fünfziger Jahre wurde sie ein Opfer der stalinistischen Säuberungen und verbrachte 15 Monate in Einzelhaft. Aus Prag wurde sie verbannt, lebte in der Provinz und durfte erst nach ihrer Rehabilitation 1964 wieder in die Stadt zurück, in der sie 1916 geboren worden war.
Mit der Arbeit für »Im Herzen Europas« konnte sie nun endlich wieder ihr journalistisches und schriftstellerisches Können zeigen. Die Zeitschrift brachte hervorragende Beiträge über Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur, Philosophie. Die Grafiken, Cartoons und Fotos waren fern von jeglichem plumpen sozialistischen Realismus. Bei Lesungen im Osten Deutschlands wird Lenka Reinerová heute noch oft gebeten, ihren Namenszug in ein Heft aus jenen Jahren zu schreiben.
Mit ihrer Rückkehr in die Hauptstadt konnte sie endlich auch wieder das kulturelle Leben in der tschechischen Metropole genießen. »1964«, so erzählte mir Lenka Reinerová, »erlebte ich die Premiere eines interessanten Stückes. Es hieß ›Das Gartenfest‹, war sehr
Weitere Kostenlose Bücher