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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Reinerová schrieb mir in einem netten Brief, daß sie den Text an die »Prager Volkszeitung« gegeben habe, deren Redaktion sich am Wenzelsplatz befinde, und das würde mir vielleicht Glück bringen. Hat es. Über dreißig Jahre später lernte ich Lenka Reinerová auf der Leipziger Buchmesse kennen und konnte mich bedanken, daß ich durch ihre Vermittlung meine ersten Kronen verdient hatte. Und das freute sie noch nachträglich.
    Die »Prager Volkszeitung« druckte zwei weitere Gedichtevon mir, und ich war gut raus, denn ich konnte mir in der Redaktion meine selbstverdienten Devisen abholen und meine Mitstudenten Doris und Pepe in der »Koruna« zu Sandwich und Bier einladen.
    Auf einem Stadtrundgang entdeckten wir das legendäre Hotel Europa, das noch komplett (Gott sei Dank bis heute) im Jugendstil erhalten war. Den Namen erhielt das Haus mit der Übernahme durch die Kommunisten im Jahre 1948. Zu k. u. k. Zeiten ging man ins Hotel Erzherzog Stephan. »Nach dem Umsturz im Jahre 1918«, so schreibt Hartmut Binder in seinem Buch »Wo Kafka und seine Freunde zu Gast waren«, »galt jedoch ein solcher Name als verhaßtes Symbol österreichischer Fremdherrschaft, und das Unternehmen firmierte nach seinem damaligen Besitzer als Grand Hotel Šroubek.«
    Große, in dunklen Farben gehaltene Bilder an den Wänden, Intarsien in den Holzpaneelen, marmorverkleidete Säulen, an denen noch die Lampen der Jahrhundertwende Licht spendeten. Eine geschwungene Treppe mit einer Plastik auf einem Sockel führte zur Galerie in den ersten Stock, wo damals noch – bevor der Raum für bundesdeutsche Touristen als Frühstücksraum reserviert wurde – echte Prager Typen sich den Abend vertrieben. Man saß dort in einer Art Kupee, in Nischen, die hölzerne Wände trennten, deren oberer Teil mit Bleiglas verziert war. Von den Tischen an der Brüstung konnte man in den Saal im Erdgeschoß blicken. Ein Panoptikum von Originalen hatte an den Tischen Platz genommen. Eine stark geschminkte ältere Frau, die an eine ehemalige Kokotte der k. u. k. Zeit erinnerte, ein Herr, der garantiert bessere Tage gesehen hatte, die goldne Uhrenkette an seiner Weste war dafür der letzte Beleg. Ein langmähniger, schlaksiger Mann, der äußerlich das Künstlerklischee bediente, spielte mit einem Glatzkopf Schach, ein Hündchen quirlte unter den Tischen herum. Es bewegten sich auffällige Damen durch das Lokal, die sich bei näherem Betrachten als Herren entpuppten. Irgend jemand erzählte uns, hier verkehre auch der alte Weiss, beidem man, so man habe, mehr oder weniger konspirativ Devisen tauschen könne. Überall wurde geplaudert, getrunken und geraucht, und die Besucher ahnten im Jahre 1967 nicht, daß sie ihre fröhliche Heimstatt bald zugunsten harter Devisen aufgeben mußten.
    Noch einmal Hartmut Binder: »In dem im Mezzanin gelegenen Spiegelsaal des Hauses hat Kafka am 4. Dezember 1912 seine Erzählung ›Das Urteil‹ einem auserlesenen Publikum zu Gehör gebracht. Es war das erste und einzige Mal, daß er eigne Werke öffentlich in seiner Heimatstadt vorgetragen hat. Eingeleitet wurde der Abend durch Willy Haas, den Intimus Franz Werfels und späteren Herausgeber der Berliner Zeitschrift ›Die literarische Welt‹. Er stellte Gedichte von Werfel und Otto Pick vor, der seinen Lebensunterhalt zunächst als Bankbeamter verdiente, aber 1921 Feuilleton-Redakteur der ›Prager Presse‹ wurde. Danach waren Max Brod und der blinde, mit Kafka ebenfalls befreundete Oskar Baum an der Reihe, während die Lesung des ›Urteils‹ Schluß und Höhepunkt des Ganzen bildete.«
    Mit meinem Freund Pepe entdeckte ich schließlich auch das legendäre Café Slavia, das zweite aus der großen Prager Kaffeehaustradition, das den Kommunismus, der nie einer war, überstanden hat. Das andere ist das berühmte Café im Repräsentantenhaus, »Obecní dům« – ein regelrechter Kaffeehauspalast am Pulverturm.
    Im »Slavia« des sozialistischen Prags trafen sich vor allem die Schriftsteller. Auch das war noch ein Stück Tradition. Vor dem Krieg saßen Rilke, Werfel und Krauss bei einem Pragbesuch gelegentlich nach dem Theater in diesem Café; Kisch soll Stammgast gewesen sein. Hier war das gesamte Interieur aus den zwanziger Jahren erhalten, das Mobiliar, die Lampen, selbst die marmorverkleidete Garderobe, an der die Mäntel mit einem Kleiderlift in den Keller transportiert wurden. Die Atmosphäre dieses Künstlertreffs erinnerte mich sofort an mein geliebtes »Corso« in Leipzig,

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