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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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angeklagt der phantastischsten Verbrechen, von deren Existenz Sie überhaupt nichts wissen! Das ist doch schrecklich: Unschuldig verurteilt zu werden von der Partei, der Sie alles, Ihren Glauben, Ihre Hoffnung, gewidmet haben.«
    Der Mut verließ ihn nicht, Goldstücker zog sich nicht ängstlich zurück, schon in den sechziger Jahren wagte er sich wieder in besonderer Weise hervor. 1963 wurde in der ČSSR auf seine Initiative die »Kafka-Konferenz« ins Leben gerufen. Anlaß war der 80. Geburtstag des Autors. Passend zu einem seiner Werke fand die internationale Tagung auf »Schloß« Liblice bei Prag statt. Eduard Goldstücker hat übrigens noch etliche von Kafkas Wegbegleitern persönlich gekannt, so Max Brod, Milena Jesenská …
    Goldstücker sagte im Zusammenhang mit der Konferenz von 1963: »Das war der Durchbruch und die erste Tat der Intellektuellen in Richtung Prager Frühling. 1968 wurde die Konferenz, an der auch Anna Seghers teilnahm, in der DDR-Propaganda als der Anfang der tschechischen Konterrevolution und ich als ihr intellektueller Vater bezeichnet.«
    Wieder war ein Jude an allem schuld …
    Die Konferenz war für die Funktionäre in der DDR eine einzige Provokation: »die Konterrevolution im geistigen Bereich«. Denn hier deutete sich an, worüber später in Prag gestritten wurde: es gibt auch Absurditäten in der sozialistischen Welt! Entfremdung in »unserem« Sozialismus?! Ungeheuerlich für Hager und Genossen. Kurella schrieb, daß jene Konferenz keine Schwalbe eines neuen Frühlings wäre, sondern eine Fledermaus.
    Dabei war, was Kafka im »Prozeß« beschrieben hatte, der Realität im stalinistischen Ostblock sehr nahe gekommen.Denunziationen und Verdächtigungen waren Jahrzehnte an der Tagesordnung, und in den Schauprozessen bezichtigten sich Führer und Funktionäre der Partei nach permanentem psychischem Druck sogar solcher Taten, die sie nicht begangen hatten.
    War das nicht absurd genug?
    Goldstücker hat das alles erlebt.
    Der »Prozeß« und das »Schloß« von Kafka handeln von einer höheren Macht, die unerreichbar ist. Von der gesichtslosen Maske der Bürokratie. Vielleicht fühlte sich mancher der Funktionäre ertappt, als er einen Blick in diese Romane riskiert hatte. Außerdem stellte der Autor zu viele Fragen, suchte zuviel. Er suchte Gott, den Sinn in einer absurden Welt und die Chance, sich als Individuum gegen die Macht der Bürokratie behaupten zu können. Das alles konnten Leute, die uniformiertes Denken wünschten, nur als geistiges Gift aus unseren Bücherschränken verbannen.
    Dann kam 1968 und so viel Hoffnung. Professor Goldstücker wurde Vorsitzender des Schriftstellerverbandes.
    »Der 1. Mai 1968. Da gab es in Prag ein wahres Volksfest nach all den angeordneten Märschen zuvor. Zum ersten Mal stand die politische Führung auf ebener Erde beim Volk.«
    Ich seh noch die Bilder vor mir, kein Vorbeidefilieren an der Tribüne, die Regierung stand mit dem Volk in der ersten Reihe. Im DDR-Fernsehen war so etwas nicht zu sehen.
    Doch währte diese Zeit der Hoffnung nicht lange.
    »Ich mußte zweimal die Besetzung meines Landes durch fremde Armeen erleben: Am 15. März 1939 durch Hitlers und am 21. August 1968 durch Breschnews Armee. Die zweite Besetzung war eine traumatischere Erfahrung als die durch Hitler. Denn Hitler war unser Feind, von dem erwarteten wir nichts Gutes. Aber die Sowjets predigten 25 Jahre lang, daß sie unsere besten Freunde sind. Und die kamen mit einer halben Million Soldaten, um uns zu unterdrücken. Am Tag selbst war ich im Urlaub in der Hohen Tatra.Kollegen warnten mich: ›Du kannst nicht bleiben.‹ Sie fanden ein Versteck, nicht größer als eine Gefängniszelle. Dort saß ich elf Tage mit einem winzigen Radio. Dann hat man mich nach Wien gebracht.«
    Goldstücker mußte nach 1968 ein noch viel längeres Exil durchstehen als zu Nazizeiten. Er kehrte erst nach der »samtenen Revolution« von 1989, also über zwanzig Jahre später, in sein Prag zurück. Aber zu viel Wasser war inzwischen die Moldau hinabgeflossen. Die 68er waren in der neuen Zeit nicht mehr gefragt.
    Was bringt uns die Auseinandersetzung um einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, wo es so viele aktuelle Probleme gibt? Oder gar: Wer den Kommunismus erneuern will, hat keinerlei Ehre verdient … Wie mir gegenüber ein tschechischer Diplomat im Gespräch ehrlich zugab, waren die Reformer nun den Anhängern des neuen Kapitalismus als Bremsen im Weg.
    Wer früh mutig ist, wird früh

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