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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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vergessen. Gleiches haben auch einige Mutige vom Herbst ’89 erfahren müssen. Vorüber und vorbei – die Parteien haben alles kassiert.
    Goldstücker war ein bedeutender Literaturhistoriker und -kritiker und Germanist. Sein Hauptaugenmerk galt dem Schaffen der Prager deutschen Literatur, der Koexistenz von tschechischem, deutschem und jüdischem Schaffen. Er forschte über Kafka, Werfel, Rilke, Thomas Mann und Goethe.
    Ich habe Eduard Goldstücker, den Jahrhundertzeugen, im Oktober 1997 in der »Alten Börse« mit einem Vortrag erlebt. Er sprach in der von der Freien Akademie Leipzig organisierten Reihe »Kulturort Mitte Europa«. Und er konnte aus seiner schwierigen Biographie, von vielfältigen Erfahrungen, Hoffnungen und Enttäuschungen im Herzen Europas berichten. Brillante, prägnante Gedanken – welcher Intellekt! Und welch perfektes, druckreifes Deutsch. Die Börse war nicht überfüllt, wie ich es erwartet hätte, es gab freie Plätze. Mit einem Bekannten applaudierte ich stehend. Wir waren die einzigen. Ich ließ mir, was ich nochnie gemacht habe, von einem Referenten auf die Eintrittskarte ein Autogramm geben, sprach dann noch kurz mit Goldstücker, fragte nach seiner Biographie, die in Deutschland nur eine Auflage erlebt hat und in keiner Buchhandlung zu kaufen ist. Er wirkte ein wenig müde, kein Wunder bei dem Alter, und ein wenig traurig, kein Wunder bei diesem Leben …
    Auf der Rückseite der Eintrittskarte zum Vortrag von Eduard Goldstücker stand gedruckt:
    »Herzlich willkommen!
    Auch bei uns erwartet Sie eine faszinierende Vorstellung – Sie sind herzlich eingeladen, Ihren Favoriten bei einer Probefahrt näher kennenzulernen. Wann soll die Vorstellung beginnen …« Darunter die Adressen von zwei Autohäusern.
    Goldstücker und FIAT.
    Kafkaesk.
    »Meine größte Leistung besteht darin, daß ich noch da bin, daß ich alle Hitler und Stalin und Breschnew, die darauf aus waren, mein Leben vorzeitig zu beenden, überlebt habe.«
    Thomas Mayer schrieb in der »Leipziger Volkszeitung«: »Nicht ohne kafkaeske Einflüsse verläuft auch Goldstückers Leben. Obwohl er schon fünfmal seine Bibliothek verlor, obwohl er ›als letzte Leidenschaft‹ – da geht es ihm wie dem Jäger auf Anstand – permanent die Antiquariate nach Büchern durchwühlt und oft fündig wird, will er seine Sammlung deutschsprachiger Literatur mit den kostbaren Kafka-Erstausgaben verkaufen: ›Die Kinder sprechen nicht die deutsche Sprache, und da ich weiß, daß ich bald gehen werde, möchte ich erleben, daß die Bücher in guter Hand sind.‹« An jenem Tag in der Alten Börse ahnte ich noch nicht, daß ich eines Tages zu denen gehören würde, die Exemplare aus seiner wertvollen Bibliothek besitzen.
    Durch Thomas Mayer erfuhr ich, daß das Wiener Antiquariat Fritsch »Die Sammlung Goldstücker« verkauft. Sofort rief ich an und erhielt einen Katalog. Zu meiner großenFreude konnte ich zwei Bücher erwerben. Natürlich war eins von Kafka: »Erzählungen und Kleine Prosa«, Band 1 der Gesammelten Schriften, den sein Freund Max Brod 1935 im Schocken Verlag Berlin herausgegeben hatte und der – wie so viele Bücher seinerzeit – in meiner Heimatstadt Leipzig gedruckt worden war. Nach über 65 Jahren kehrte dieses Buch nun an den Ort seiner Produktion zurück.
    Sein Leben lang hat Goldstücker gekämpft, gekämpft auch darum, daß der Platz vor dem Geburtshaus von Kafka nach dem Autor benannt werden möge. Jahrzehnte vergingen. Es tat sich nichts. Im Jahr 2000, so erzählte mir Lenka Reinerová, passierte ihrem Freund folgendes: »Eines Tages saß mein lieber Goldstücker zu Hause und bekam einen Anruf von einem britischen Journalisten, der ihm sagte ›Ich freu mich, Herr Professor, wir sehen uns ja heute.‹ Worauf der Goldstücker sagte, ›Ich weiß von nichts, wo seh ich Sie heute?‹ – ›Na, bei der Benennung des Kafka-Platzes.‹
    Goldstücker sagte: ›Ich weiß von nichts.‹ Da wurde der britische Journalist erst mal wütend und dann aktiv. Und die Folge war, daß zwanzig Minuten später der Magistrat anrief und sagte ›Herr Professor Goldstücker, wir schicken Ihnen einen Wagen.‹ Goldstücker fragte: ›Wozu?‹
    ›Na, damit Sie da sind, wenn …‹, kurz gesagt, er war dann natürlich vor Ort, aber es hätte passieren können, daß der Platz ohne Goldstücker eingeweiht worden wäre.«
    Kafkaesk.
    So hat sich wenigstens dieser Wunsch für den Germanisten und Kafka-Forscher noch erfüllt. Eduard Goldstücker

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