Mauer, Jeans und Prager Frühling
Übersetzungsverbot. Lenka Reinerová verlor ihre Arbeit in einem Verlag, schlug sich als Dolmetscherin durch.
»Ich übersetzte aber trotzdem sehr viel, spezialisierte mich auf bildende Kunst. Veröffentlichte unter dem Namen einer Kollegin. Mir war das ziemlich egal. Die haben dann mit einem westdeutschen Verlag zusammengearbeitet, und ich sagte ungefähr 1986, ich übersetze jetzt nur noch unter meinem Namen oder gar nicht mehr. Und auf einmal ging’s!«
Zum Glück konnte sie nach der »samtenen Revolution« von 1989 ihre Bücher schreiben. Eins heißt: »Zu Hause in Prag – und manchmal auch anderswo«.
Ein Diesseitswunder
Als Eduard Goldstücker mit 85 Jahren den Lessing-Preis erhielt, konnte er es kaum fassen und kommentierte hintersinnig: »Wäre unser Prager Max Brod noch am Leben, würde er das als ein Diesseitswunder diagnostizieren.«
Sein Leben lang hat Eduard Goldstücker gekämpft, er war ein mutiger Mann. 1913 in einer jüdischen Familie in Podbiel in der Ostslowakei geboren, war er als Kommunist und Jude nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis doppelt gefährdet. Mit seiner Frau gelang ihm rechtzeitig die Flucht nach England. Mutter, Schwester, deren Mann und ihr 10jähriger Sohn wurden in Auschwitz umgebracht. Nach dem Krieg ging Goldstücker zurück nach Prag und engagierte sich für den jungen Staat. Von 1950 bis 1951 war er tschechoslowakischer Botschafter in Israel.
Am 6. Dezember 1951 tagte das Zentralkomitee der Partei. Klement Gottwald berichtete über die »Enthüllung einer imperialistischen Verschwörung unter der Führung von Rudolf Slánský«, dem Vorsitzenden der tschechoslowakischen Kommunisten.
Mit einem Freund hatte sich Goldstücker in jenen Tagen verabredet, sie wollten einen Film ansehen, »Fahrraddiebe« von Vittorio de Sica. Als jemand an die Tür klopfte, dachte er, sein Freund habe sich verfrüht. »Ich öffnete und sah mich drei Männern gegenüber, deren Erscheinung keinen Zweifel an ihrem Beruf aufkommen ließ.«
Bei den von Stalin inszenierten Slánský-Prozessen saß Eduard Goldstücker mit auf der Anklagebank. 14 Personen waren des Hochverrats, der Spionage und Untergrabung der Verfassung angeklagt. Elf von ihnen waren jüdischer Herkunft. Elf Mal wurde die Todesstrafe durch den Strangverhängt. Und die meisten der zum Tode Verurteilten – man schämte sich auch nicht, das öffentlich zu betonen – waren Juden. Sieben Jahre nach Auschwitz wurden auf Stalins Geheiß jüdische Kommunisten in der Č SR getötet. Ein Schauprozeß mit eindeutig antisemitischer Tendenz.
Einer der Angeklagten hieß Otto Katz: international bekannt unter dem Pseudonym André Simone, ein engagierter Verfechter der kommunistischen Bewegung, bereits seit 1922 Mitglied der Partei, von der Komintern geprägt, Redakteur von »Rudé Právo«, 1952 als angeblich britischer und zionistischer Agent zum Tode verurteilt und hingerichtet, 1963 vollständig rehabilitiert. Sein engster Weggefährte, den der Stalinismus mit seinem »neuen Kaderprofil« garantiert auch auf dem Gewissen hätte, Egon Erwin Kisch, ist – man muß schon sagen: zu seinem Glück – bereits 1948 gestorben …
In seinen Memoiren »Prozesse« schreibt Eduard Goldstücker, unfaßbar für uns, daß die Asche der in den Slánský-Prozessen Hingerichteten auf einer böhmischen Landstraße bei Glatteis zwischen Prag und Příbram verstreut wurde …
In einem Interview der »Leipziger Volkszeitung« sagte Goldstücker kurz vor seinem Tod: »Ich bekam lebenslänglich Zuchthaus. Hätte ich 1946 eine Funktion angenommen, die Slánský mir angeboten hatte, wäre ich auch gehängt worden.«
»Warum wurden diese Prozesse mit derartiger Menschenverachtung geführt?« fragte der Reporter.
»Die Tschechoslowakei war im Sowjet-Imperium das Land, das die tiefste bourgeois-demokratische Entwicklung durchgemacht hatte. Von Stalins Standpunkt aus lief sie am meisten Gefahr, nach Westen zu schauen. Die Prozesse waren seine persönliche Art der Disziplinierung.«
Goldstücker verbrachte 18 Monate in strengster Isolationshaft und insgesamt vier Jahre im Zuchthaus.
»Als ich im Gefängnis saß, wurde mir klar, daß dieses System nur auf eine Lüge gestellt ist. Ich sagte mir: Wenn ichje hier raus komme, werde ich mich für dessen Reform einsetzen.«
Am Ende seiner Haft mußte er Strafarbeit in den Uranbergwerken um Joachimsthal leisten.
»Stellen Sie sich vor, Sie werden eines Tages aus heiterem Himmel festgenommen und
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