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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Aufruf endete mit den Worten: »Es lebe die unverbrüchliche Solidarität und das Bündnis zwischen der DDR und der ČSSR!« Welche ČSSR meinten die denn?!
    Im Anschluß wurden die bestellten Zustimmungserklärungen abgedruckt und die Vergleiche zum 13. August 1961 gezogen. Damals war der Frieden gerettet worden, und in diesen Tagen wurde er schon wieder gerettet. Gerhard Köhler, Kirow-Werk Leipzig, Betriebsteil Hauptmechanik, schreibt: »Die KPČ hatte teilweise die Macht an rechtsextremistische Kräfte abgeben müssen. Deshalb mußten wir gemeinsam verhindern, daß der Klassenfeind sich in einem Land des sozialistischen Lagers breit macht.«
    Dubček war also neuerdings ein Rechtsextremist! Der Mann hatte in Moskau studiert.
    Ich blätterte in der Zeitung … Es gab eine Rubrik, die hieß die »7-Uhr-Frage« und wurde immer am nächsten Tag beantwortet. Am 21. August war sie von Ronald Petri aus Halle gestellt worden: »Mir ist bekannt, daß jetzt alle Getreidearten bis auf Hafer mit dem Mähdrescher geerntet werden. Warum kann man bei Hafer nur den Mähbinder einsetzen?« – Dazu morgen »AZET« besorgen. Hoffentlich hat sich Herr Petri am nächsten Tag die »AZET« gekauft, damit er wieder ruhig schlafen konnte.
    Was bot die »AZET« noch an diesem Tag. Eine der größtenAnzeigen galt dem KONSUM-BROT an sich, und der Obst- und Gemüsehandel des Bezirkes Leipzig warb unter der Überschrift:
    »Erntefrisch auf den Tisch!
    Vitamine im Winter – nie genug,
    wer jetzt einkocht – handelt klug!
    Deshalb jetzt Birnen kaufen!« Der Satz vom Einkochen bekam im August 1968 eine ganz andere Bedeutung, denn nun ging es politisch ans »Eingemachte«. Die mächtigen Ostblock-Funktionäre in Moskau und Ostberlin wußten ganz genau, daß ihre Tage gezählt waren, wenn Dubčeks Reformen glückten. Deshalb schickten sie Panzer nach Prag!
    Unter den Ketten dieser Panzer wurden die Blumen des Prager Frühlings zermalmt.
    Freunde erzählten mir, wie sich tschechische Urlauber am Balaton weinend um die Kofferradios scharten.
    Deutsche Panzer wieder in der Tschechoslowakei – das wagte man doch nicht! Die DDR beteiligte sich zwar in logistischer Hinsicht an dem Überfall, aber die NVA-Truppen blieben an der Grenze stehen.
    Am ersten Tag der Besetzung starben 30 Menschen, insgesamt gab es 150 Tote. Unvergeßlich das Foto eines Mannes, der sich voller Verzweiflung in seiner gestreiften KZ-Häftlingskleidung vor einen Panzer stellte. Die Jacke aufgerissen, dem Panzerrohr seine nackte Brust bietend.
    Die Wut wuchs. Wie konnte man im Politbüro annehmen, daß wir diese in Funktionärsdeutsch abgefaßten Lügen glauben würden? Das durfte man sich doch nicht alles gefallen lassen! Man mußte etwas tun. Aber was?
    Ein paar Tage darauf saß ich mit einem Bekannten in »Lüttichs Weinstuben«. Ich weiß noch, daß ich an jenem Abend ein gerahmtes Foto von der Universitätskirche, das an der Wand neben unserem Tisch hing, betrachtete. Ich war mir nicht sicher, ob es schon immer dort gehangen hatte, oder ob es Herr Lüttich erst nach der Sprengung dortanbringen ließ. Damals habe ich gar nicht daran gedacht, daß die Stasi ja nur wenige Schritte entfernt residierte und auch jene Herren, so sie vor dem Auge Herrn Lüttichs bestanden, zu den Gästen zählen könnten. Beim Bier sprachen wir über das ungeheuerliche Geschehen in der ČSSR.
    »Wir können uns das doch nicht alles so gefallen lassen! Man müßte was machen.«
    »Aber was?«
    Ich hatte in Prag an den Hauswänden oft Losungen gesehen, die mit Kreide geschrieben waren. Am meisten hatte ich gelesen »Viva Dubček!«
    »Einfach mit Kreide ›Dubček‹ an die Wand schreiben. Nichts weiter. Nur damit alle sehen, wir denken an ihn. Auch hier in Leipzig gibt es Leute, die mit ihm solidarisch sind.«
    »Gut, das machen wir.«
    »Wann?«
    »Nächsten Mittwoch. Nach dem Lyrikzirkel.«
    In der Nacht vom Dienstag zu jenem Mittwoch träumte ich, daß wir bei unserer Aktion verhaftet würden. Ich verscheuchte diesen Traum und sagte nichts davon, als wir uns wieder in »Lüttichs Weinstuben« trafen und dort in einer besonderen Anspannung bis zum Ausschankschluß saßen.
    »Hast du die Kreide?«
    »Ja.«
    »Wo schreiben wir es ran?«
    »Als erstes an die ›Pfeffermühle‹. Innen. Da wird es nicht gleich entdeckt, und die Besucher sehen es.«
    Es war uns klar, daß diese Schriften nach der Entdeckung sofort von der Polizei abgewischt würden.
    »Von da gehen wir rüber in die Messehofpassage.

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