Mauer, Jeans und Prager Frühling
Und der forderte mich auf, besser gleich die Wahrheit zu sagen, die anderen seien auch alle hier, und wir wären doch wegen dem Dubček in der Stadt gewesen und hätten protestiert, ›Dubček‹ gebläkt. Das hatten wir damals wahrscheinlich so aus Geigel gerufen, bei der Begrüßung: Dubček!
Das war ja für uns im Osten so eine Art Che Guevara. Wir hatten zwar keine Ahnung von Politik, oder was Dubček wirklich wollte, aber wir fanden ihn irgendwie gut. Wir hatten das Gefühl, in der Tschechei, da tat sich was. Der war für uns ein Held.
›Warum seid ihr barfuß gelaufen?!‹
Die wollten selbst aus unseren nackten Füßen noch eine politische Aktion machen! Dann haben sie mir mal die Pritsche runtergeklappt und wieder hochgeklappt. Ich hatte überhaupt kein Zeitgefühl. Wenn ich zum Verhörzimmer geführt wurde, haben die sich einen Gag gemacht und mir beim Gehen mit ihren Stiefeln unter die Füße gehauen. Dann stolperte ich, und sie wiesen mich zurecht: ›Loof langsam, Bürger!‹
Meine Mutter sagte mir später, daß ich drei Tage da drin gewesen bin. Am Mittwoch also mußte ich unterschreiben, daß ich gut behandelt worden wäre. Ich hatte aber ab und zu ein paar gepflastert gekriegt, dabei war mir sogar die Lippe aufgesprungen. Doch wir sollten unterschreiben – zwei von meinen Kumpels saßen auch in dem Zimmer. Und da habe ich gesagt: ›Das unterschreibe ich nicht, ich bin geschlagen worden.‹ Da bekam ich gleich noch eine gedonnert; mir taten oben die Zähne weh, und meine Nase hat geblutet. Der zweite Mann im Zimmer hat mir noch eins von hinten auf die Birne gegeben. Auch meine Kumpels, der Lehmann und der Jürgi, wurden ins Gesicht geschlagen. Und dann hat einer von denen gesagt: ›So, jetzt könnt ihr es euch überlegen: entweder ihr unterschreibt oder ihr bleibt hier drinne.‹ Mir kamen die Tränen, mein Mund war wie betäubt. Wie beim Zahnarzt. Da hab ich mir gesagt, du kommst hier für lange nicht raus, wenn du die Unterschrift verweigerst. Und dann hab ich eben unter Schmerzen unterschrieben, daß ich gut behandelt worden bin. Als ich das Gebäude verließ, sah ich, daß ich in der Fockestraße war, im Polizeirevier Süd. Wahrscheinlich lagen die Zellen im Keller.
Wir liefen gemeinsam nach Hause, an der Rennbahn entlang, ich in meinen Schlosserklamotten, und wir schworen, das lassen wir uns nicht gefallen, die spinnen ja. Meine Mutter erschrak, als sie mich sah. ›Was hast du denn gemacht?‹ Ich sagte: ›Gar nichts, ich hab gar nichts gemacht. Das waren die. Das laß ich mir nicht gefallen.‹ Am selbenTag ist sie noch in die Fockestraße gelaufen und hat dort im Revier losgepoltert: ›Was war denn hier los?!‹ – ›Was soll los gewesen sein‹, meinten die, ›Ihr Sohn ist vielleicht hingefallen.‹ Und dann haben sie ihr meine Unterschrift gezeigt und gesagt: ›Ihr Sohn hat sich vielleicht mit seinen Kumpels geprügelt.‹
Meine Mutter fing an zu zweifeln. Mir kamen die Tränen, ich habe geheult und gesagt, klar, haben die mich geschlagen. Und ich war hilflos in meiner Wut auf diese Typen und daß mir meine Mutter nicht glaubte.«
Wer hatte die Meute angezeigt?
Wer wird den 17jährigen Guido mit seinen Kumpels verpfiffen haben?
»Am Fenster hingen doch immer welche rum, die hatten sich sogar Kissen reingelegt, damit ihnen die Arme nicht weh taten. Irgend jemand von denen wird wohl angerufen haben. Vielleicht, weil er den Namen Dubček aufgeschnappt hat.«
Aufklärung
Peter Seidel, Sie kennen ihn bereits als Mitglied des verbotenen Kabaretts »Rat der Spötter«, erzählte mir, was ihm an seinem Arbeitsplatz im Sommer 1968 widerfahren ist. »Schnafte«, so sein schöner Spitzname, war vom Urlaub aus der ČSSR zurückgekehrt, ein Kollege in seinem Zimmer bei der DEWAG ebenfalls. An ihrem ersten Arbeitstag wurden beide zum Direktor bestellt. »Kollegen, ihr wart in der ČSSR im Urlaub?«
»Ja.«
»Habt ihr gemerkt, daß in der Tschechoslowakei übers Wochenende der Faschismus die Macht übernommen hat?«
Die beiden sahen sich erstaunt an, und Schnafte meinte: »Nein, davon haben wir nichts gemerkt.«
»Dann habt ihr wieder mal nicht aufgepaßt! Kollege Seidel, haben Sie einen Fernseher?«
»Nein, ich habe keinen Fernseher.«
»Kollege Weißbrot, haben Sie einen Fernseher?«
»Ja.«
»Gut. Ihr beide geht jetzt zum Kollegen Weißbrot und seht euch die Wiederholung vom ›Schwarzen Kanal‹ an. Dort wird euch gezeigt, was in der Tschechoslowakei passiert ist!«
Beiden
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