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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Kollegen wurde quasi akuter politischer Bildungsurlaub verpaßt. Aus gutem Grund: Man wollte sich auf die Wahrnehmung des DDR-Bürgers nicht verlassen. Dort, wo er im Gras einen Hasen entdeckte, mußte er lernen, einen Wolf zu sehen.

Die Aktion
    Ich war gerade von der Grimmaischen Straße abgebogen und ging den Neumarkt entlang. Hinter dem Messehof klaffte noch immer eine der vielen kriegsbedingten Baulücken. Seit Jahrzehnten befand sich dort in einer Art Baracke die Aufbau-Tombola. Eine Tombola existierte also, es haperte nur mit dem Aufbau.
    Auf dem Platz vor dem Lotterie-Bungalow stand auf einem Podest über Jahre ein Trabant. Der Hauptgewinn! Ich vermute, das Los dafür ist nie gedruckt worden. Er stand ewig da, wohl gar bis zum Ende der DDR.
    An jener Stelle war auch ein Lautsprecher des unsäglichen Stadtfunks installiert, der vor allem an zentralen Haltestellen nachmittags die Wartenden mit Erfolgsmeldungen nervte. Beim Näherkommen hörte ich den Sprecher sagen: »… Persönlichkeiten der Partei und des Staates der ČSSR wandten sich an die Sowjetunion und die anderen verbündeten Staaten mit der Bitte, dem tschechoslowakischen Brudervolk dringend Hilfe, einschließlich der Hilfe durch bewaffnete Kräfte, zu gewähren … Am heutigen 21. August 1968 haben sowjetische Militäreinheiten gemeinsam mit Militäreinheiten der verbündeten Länder das Territorium der ČSSR betreten.«
    Ich stand da und war wie vor den Kopf geschlagen. Ich fühlte wieder diese Mischung von Zorn und Ohnmacht, wie sie mich zum letzten Gottesdienst in der Universitätskirche erfüllt hatte. Diese Welle, dieser Druck im Bauch. Ein Bekannter kam den Neumarkt entlanggeschlendert. Kein Gruß, wir sahen uns an, und ich fragte ihn sofort: »Hast du das gehört?«
    »Ja.«
    Wir standen da, schwiegen hilflos, schüttelten den Kopf.Uns fehlten die Worte, wir gaben einander die Hand und gingen unserer Wege. Ich kaufte mir für 10 Pfennig an diesem Mittwoch eine »AZET«. Die dicke schwarze Titelschlagzeile sprach der Wirklichkeit hohn:
    »Bruderhilfe für die ČSSR zum Schutz des Sozialismus«
    Zynischer ging es wirklich nicht.
    Wer waren denn diese Persönlichkeiten der Partei und des Staates? Ich suchte im Text: kein Name, kein Foto, nichts. Was waren das für bewaffnete Kräfte? Ich wußte noch nicht, daß schon Panzer über den Wenzelsplatz rollten.
    Stefanie hatte mit ihrer Freundin von Budapest noch nach Prag reisen wollen, weil ich so von dem neuen Leben in der Tschechoslowakei geschwärmt hatte. War sie im Land? Wie kam sie raus? Denn vermutlich waren alle Grenzen geschlossen … Einige Tage später erzählte sie mir von ihrer Odyssee. Von der DDR-Botschaft in Budapest hatten sie Geld und Quartier für drei Nächte erhalten. Von dort erfuhren sie auch, wann ein Zug bereitgestellt würde. Eine Fahrt durch die ČSSR war nicht mehr möglich. Von Budapest brachte sie ein überfüllter Zug an die sowjetisch-ungarische Grenze. Ihr Proviant bestand aus einem Weißbrot, einer Flasche Ketchup und einer mit Mineralwasser. Nachts erreichten sie die russische Grenzstation und stiegen in Waggons um, in die man Bänke, ähnlich denen aus Turnhallen, gestellt hatte. Männer rollten Luftmatratzen und Schlafsäcke auf dem Boden aus, damit sich Kinder und ältere Fahrgäste hinlegen konnten. Toiletten gab es nicht. Die Männer pinkelten aus dem fahrenden Zug. Warten auf Bahnhöfen, keinerlei Versorgung. Auf dem Bahnsteig konnten sich Stefanie und ihre Freundin lediglich die Flaschen am Wasserhahn füllen. Hinter der polnischen Grenze standen wieder normale Reisezüge bereit, schließlich endete die abenteuerliche Fahrt nach 56 Stunden in der Heimatstadt … Ein Leipziger würde sagen: Ä ganz scheener Umbohchen!
    In der »AZET« las ich aus einem Appell des ZK der SEDan die Bürgerinnen und Bürger der DDR: »Im Interesse ihrer Sicherheit, im Interesse der Völker und des Weltfriedens konnten und durften die sozialistischen Bruderländer nicht zulassen, daß die ČSSR aus der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten herausgebrochen wird … Die dem Sozialismus treuen Kräfte, die das schändliche Komplott der rechten und der antisozialistischen Elemente durchschauten, haben die Mahnung Julius Fučiks beachtet: ›Menschen, seid wachsam!‹«
    Welch eine Verdrehung der Tatsachen! Ich hatte doch die begeisterten Massen gesehen, die Dubček zujubelten! Die ganze Welt hatte es doch gesehen. Wie konnte man bloß im Angesicht der Wahrheit so lügen?!
    Der

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