Mauer, Jeans und Prager Frühling
Zersetzung der Jugend begünstigt.«
Nun wurde sogar noch der höchste Rat der FDJ entlarvt! Der hat das aber schnell wieder zentral ausgebügelt.
Trotzdem erschien 1965 in der DDR die erste LP der Liverpooler Jungs. Eine Sensation! Und die Platte erzielte sofort – und das bis heute – Höchstpreise.
Das 11. Plenum
Zu Beginn der sechziger Jahre befand sich die Qualität der DEFA-Filme auf einem Tiefstand. Die ewige Gängelei durch die Partei hatte dazu geführt, daß sich kaum ein Mensch noch für die Ost-Produktionen interessierte. Die Partei gab natürlich den Filmkünstlern die Schuld. Die wehrten sich. In seiner Antwort auf eine Umfrage schrieb Günter Kunert in der Zeitschrift »Deutsche Filmkunst«: »… denn leider ist es bei uns unmöglich geworden, eine simple Sentenz wie ›Der Winter ist kalt‹ zu äußern, ohne daß einem vorgeworfen wird, man negiere drei andere wesentliche Jahreszeiten und erkenne außerdem nicht die Kräfte, die in der Lage seien, den Winter zu einem zweiten Sommer umzugestalten.« Kunert wußte, wovon er sprach. 1962 war im Fernsehen sein »Monolog eines Taxifahrers« mit Fred Düren gar nicht erst gesendet worden. Ähnliches widerfuhr ihm im selben Jahr mit der zwar ausgestrahlten, aber anschließend sofort verbotenen Fernsehoper von Kurt Schwaen »Fetzers Flucht«. Kunert hatte das Libretto geschrieben; Ekkehard Schall spielte die Hauptrolle. Regisseur beider Produktionen war Günter Stahnke.
Bis Mitte der Sechziger kam es beim Film doch noch zu Veränderungen, zur personellen Verjüngung im DEFA-Studio. Die Jahre von 1963 bis 1965 waren von Aufbruch geprägt, größere künstlerische und thematische Freiheiten brachten beachtliche Leistungen hervor. »Auf der Sonnenseite« und »Beschreibung eines Sommers« – in beiden Filmen spielte Manfred Krug mit – läuteten die neuen, erfrischenden Produktionen ein. Dann tagte im Dezember 1965 das 11. Plenum des ZK der SED.
Wolfgang Engler schreibt in einem Buch, das den treffenden Titel »Kahlschlag« hat, zu diesem Thema: »Die11. Tagung des ZK der SED entkoppelte … den wirtschaftlichen Reformprozeß vom bis dahin mitlaufenden Aufbruch auf kulturellem Gebiet … Der perfekt inszenierte Schauprozeß rechnete unbarmherzig mit allen fortschrittlichen Tendenzen in den Künsten und im gesamten Geistesleben ab, schüchterte die Protagonisten der ostdeutschen Moderne und ihre Verbündeten in den Kulturbehörden für viele Jahre ein und verbannte die ungeschminkte Wirklichkeit aus dem öffentlichen Diskurs.«
Und Engler zieht Bilanz: »Es war ein 1968 en miniature, zwar unblutig im Ablauf und auf einen gesellschaftlichen Sektor beschränkt, aber nichtsdestoweniger ein Meilenstein in der auf 1989 zulaufenden Krisengeschichte der DDR.« Was wäre aus der DDR geworden, wenn man in jenen Jahren ihre Künstler und Wissenschaftler nicht eingeschüchtert hätte? Vor dem »Prager Frühling«, vor »Solidarność« und »Perestroika« hätte wohl ein deutscher »Aufbruch« stattgefunden.
Es gibt die Theorie, daß Ulbricht auf diesem Plenum so scharf gegen Tendenzen in Kunst und Kultur vorgegangen ist, weil er die sowjetischen Genossen beruhigen und ihnen beweisen wollte, daß es in der DDR keine Liberalität geben wird. Er hoffte damit die ihm am Herzen liegende Neue Ökonomische Politik gegenüber der Sowjetunion durchzusetzen. Die blickte argwöhnisch auf die Pläne der deutschen Genossen.
Weniger Dogmatismus sowohl in der Wirtschaft als auch in der Kultur – das wäre wohl etwas zuviel gewesen.
Vor dem Plenum gab es im Politbüro heiße Diskussionen über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion. Am 4. Dezember 1965 sollten neue Handelsverträge mit der UdSSR abgeschlossen werden. Ulbricht, so wird gesagt, habe Apel ultimativ zur Unterschrift aufgefordert. Am Vortag erschoß sich Erich Apel, Mitglied des Politbüros und Leiter der Plankommission, in seinem Büro. Die Partei erfand als Grund für den Selbstmord gesundheitliche Probleme. Der DDR-Buschfunk kommentierteden Freitod des 48jährigen als Protest, weil er erfolglos versucht hatte zu verhindern, daß die DDR völlig von sowjetischen Rohstoffen abhängig würde, weil er das Mißverhältnis von Lieferung zum »Großen Bruder« und dessen Gegenlieferung kritisiert hatte. Nicht umsonst meinte der Volkswitz zur Formulierung »brüderlich teilen«: »Nee, da bin ich nicht einverstanden! Schön halbe, halbe!« Über die Handelsverträge wurde die DDR für die
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