Mauer, Jeans und Prager Frühling
»entlarven«. An jenem Reformations-Sonntag sollen Theologiestudenten, die nach dem Gottesdienst ahnungslos des Weges kamen, auch gleich mit verhaftet worden sein – wer eine lange »Madde« hatte, war dran.
Gunter Böhnke erlebte an der Universität, wie sich Studenten, die von der Polizei verhaftet worden waren, weil sie zufällig über den Leuschnerplatz spazierten, in der Öffentlichkeit rechtfertigen mußten. Er erinnert sich an einen Typ, ein harmloses Muttersöhnchen aus dem 5. Studienjahr, der in betont artikuliertem Hochdeutsch berichtete: »Ich fand das nicht in Ordnung, was da passiert ist. Ich war auf dem Weg zu meinen Eltern zum Mittagessen. Da kamen welche und haben mich auf einen LKW geworfen. Und da habe ich gesagt: ›Bitte, passen Sie auf, ich habe meinen besten Anzug an.‹ Und da haben die gesagt: ›In dem Anzug wirst du bald Scheiße karren!‹ Das fand ich empörend!«
Daraufhin hat Professor Dietze den jungen Mann angeschrien: »Wenn die Feinde des Sozialismus marschieren und Sie sind dabei, dann brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, wenn den Genossen mal die Geduld reißt!«
Bei den Sicherheitsorganen hatte man sich intensiv auf diese »Provokation« vorbereitet. Am 28.10.1965 erhielt dieBDVP (Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei) folgende Anweisung: »Grundsatz beim Einsatz von Kräften soll sein: Nicht zulassen, daß Jugendliche auseinander laufen, sondern zusammenfassen, verladen und zum Sammelpunkt, Hof 2, VPKA , bringen. Dort erfolgt Filtrierung und Verwahrung.«
Wir wollen nicht vergessen, daß es sich um Menschen handelte, die hier gefiltert und verwahrt werden sollten.
Die Jugendlichen in Ost und West liebten die Beatles und Rolling Stones, ahmten deren Musik nach. Die Jungs ließen sich selbstverständlich die Haare wachsen wie ihre Vorbilder. Als ich kurz nach dem »Beat-Aufstand« bei einem Leutzscher Friseur lediglich darum bat, meine Haare nicht bis übers Ohr zu kürzen, schnarrte er mich an: »Sie sind wohl auch so ein Gammler, der in die Braunkohle gehört! Ich soll wohl mal die Polizei anrufen!«
Mir verschlug es die Sprache, denn so viel Solidarität mit der staatlichen Bevormundung hätte ich einem selbständigen Friseurmeister nicht zugetraut. Aber hier traf sich der muffige Geschmack der Kleinbürger (»Das ist doch keine ordentliche Frisur!«, »Wie die aussehen!«, »Die Lohdn!«, »Wenn das mein Junge wäre!«) mit dem spießigen Geschmack der Partei. Da entlarvten sich die »ordentlichen Deutschen«, die bis zuletzt ihren Nazi-Scheitel gezogen hatten. Lange Haare und »Negermusik«, die mußten weg!
Im VEB TAKRAF wurden jungen Arbeitern in der Brigade öffentlich die langen Haare abgeschnitten.
Klaus Tippmann, damals Student an der Fakultät für Journalistik, landauf, landab als »Rotes Kloster« verschrien, erzählte mir, was in Leipzig nach dem »Beataufstand« für die Gewährleistung von Ruhe und Ordnung getan wurde. Man hatte Angst, daß sich die Ereignisse am Sonntag darauf wiederholen könnten. Von Freitag bis Montag wurde deshalb die Stadt flächendeckend kontrolliert. Zuverlässige Studentinnen und Studenten mußten Liebespaar spielen, bei anderen reichte es, einfach unauffällig zu gucken. Als »Waffe« erhielten sie die Taschen voller Groschen, damit sieim Ernstfall sofort von einer Telefonzelle aus Alarm auslösen konnten. Sie schliefen in einer Schule, wurden mit Bockwürsten und anderem Proviant versorgt. So hielten sie wachsam nach Provokateuren Ausschau, aber der Ernstfall trat nicht mehr ein.
Mit dem »Jugendradio DT 64« versuchte man seit 1964, mehr oder weniger erfolgreich, westlichen Sendern die Hörer abzujagen. Die Mehrheit der Musikfans zog natürlich RIAS und Radio Luxemburg vor, aber DT 64 spielte auch ab und an westliche Titel und gab einer ganzen Reihe von ostdeutschen neuen Bands eine erste Chance. Erich Honecker dröhnten die Ohren von den Mißtönen: »Über eine lange Zeit hat DT 64 in seinem Musikprogramm einseitig die Beat-Musik propagiert.« Und der ehemalige FDJ-Chef legte nach: »Hinzu kam, daß es im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend eine fehlerhafte Beurteilung der Beat-Musik gab. Sie wurde als musikalischer Ausdruck des Zeitalters der technischen Revolution ›entdeckt‹. Dabei wurde übersehen, daß der Gegner diese Art Musik ausnutzt, um durch Übersteigerung der Beat-Rhythmen Jugendliche zu Exzessen aufzuputschen … Dadurch entstand eine hektische, aufpeitschende Musik, die die moralische
Weitere Kostenlose Bücher