Mauer, Jeans und Prager Frühling
Geschichte der Balla-Truppe, die die Staatsmacht provozierte, mißfiel den Kulturoberen, stellten doch in diesem Film Werktätige selbst die scheinbaren Errungenschaften der Republik in Frage.
Die Partei hat in diesem Fall einmal eine andere Taktik probiert. Schon zur offiziellen Kino-Uraufführung kam es mit bestellten Randalierern zum Eklat. Sie riefen u. a.: »Ins Gefängnis mit dem Regisseur!«, »Krug in die Produktion!«. (1989 rief man kurioserweise: »Stasi in die Volkswirtschaft!« Da wird sich doch niemand von der falschen Seite erinnert haben …?) Zwar hatte das Kulturministerium dem Film das Prädikat »Besonders wertvoll« verliehen, das hinderte den Leipziger SED-Bezirkschef allerdings nicht, beim Zentralkomitee dagegen Stimmung zu machen: Die Partei würde darin beschädigt. Der Betonblock formierte sich. Sogar die bereits vorliegende positive Filmkritik im »Neuen Deutschland« wurde zurückgezogen; eine andere,unter Pseudonym geschriebene, erschien, deren Argumente wohl im Politbüro festgelegt worden waren: »Der Film ›Spur der Steine‹ wird der Größe seines Themas nicht gerecht. Er gibt ein verzerrtes Bild von unserer sozialistischen Wirklichkeit, dem Kampf der Arbeiterklasse, ihrer ruhmreichen Partei und dem aufopferungsvollen Wirken ihrer Mitglieder.«
Jedes kritische Wort deuteten die Funktionäre gleich als »verzerrend«. Im nachhinein werden die bestellten Krakeeler noch einmal gewürdigt: »Der Film erfaßt nicht das Ethos, die politisch-moralische Kraft der Arbeiterklasse und der Ideen des Sozialismus, bringt dafür aber Szenen auf die Leinwand, die bei den Zuschauern mit Recht Empörung auslösen.«
Auch ins »Capitol« wurden, von SED-Bezirkssekretär Paul Fröhlich angeregt, treue Genossen geschickt, die zu Unmutsäußerungen animiert worden waren. Vorwiegend Mitglieder der Kampfgruppen und Parteischüler brüllten in der Nachmittagsvorstellung den Film nieder. Als eine Besucherin am Abend ihren Mantel an der Garderobe abgeben wollte, wußte sie natürlich nicht, daß sie in die letzte Vorstellung geraten war. Die Frau hinter dem Tresen klärte sie – ohne jegliche Diplomatie – in ihrer ehrlichen, offenherzigen Art auf: »Ihren Mantel brauchen Sie nicht erst abgeben. Heute dauert’s nicht lange!«
Frank Beyer beschreibt in seinen Memoiren »Wenn der Wind sich dreht«, warum es an jenem Abend nicht lange dauerte: »In der Abendvorstellung sind von Anfang an nur Bruchstücke des Dialogs verständlich. Noch bevor überhaupt die Kati-Horrath-Liebesgeschichte exponiert ist, kreischt eine Frau: ›Unsere Bardeisekredäre schlafn nich mit fremdn Fraun!‹ Nach der Szene, in der die Ballas den Polizisten in den Teich ziehen, die lautstarke Forderung: ›Den Regisseur einsperrn.‹
Die künstlich aufgeputschte Menge verlangt die Absetzung des Films. Die Vorführung wird nach 20 Minuten abgebrochen, ein Vertreter des PROGRESS-Filmvertriebs erscheintvor der Leinwand und verkündet, daß man den Forderungen der Werktätigen nachkomme, den Film abbreche und ihn vom Programm absetze.«
Die Garderobenfrau hat recht behalten.
Die Studiobühne der Karl-Marx-Universität durfte in jenen Tagen die Inszenierung eines Stückes von Tadeusz Róṡsewicz nicht mehr aufführen, »Die Zeugen oder Unsere kleine Stabilisierung«. Die Partei stabilisierte damit wieder ein Stückchen Macht und warf dem Werk »Nihilismus, Lebensangst und Entfremdung« vor. An den Berliner Theatern wurden Heiner Müllers »Der Bau« und Volker Brauns »Kipper Paul Bauch« angegriffen.
Längst war »Die Sorgen und die Macht« von Peter Hacks verboten worden, inszeniert vom Antifaschisten und Widerstandskämpfer Wolfgang Langhoff. So erlebte Hacks, welche Sorgen man sich einhandeln konnte, wenn man mit der Macht kollidierte. Und nach dem Plenum ging man zum zweiten Mal gegen ihn vor; »Moritz Tassow«, eine Komödie, durfte an der Volksbühne nicht mehr gespielt werden.
Werner Bräunig wurde hart attackiert, nur Christa Wolf verteidigte ihn auf dem Plenum. Sein Buch war noch gar nicht fertig. Es reichte schon ein Ausschnitt von »Rummelplatz«, veröffentlicht in der »Neuen Deutschen Literatur«, daß man über ihn herfiel. Bräunig wollte ein Buch über den »Menschenschmelztiegel Wismut« schreiben. Er hat es nicht beenden können und starb mit vierzig, Anfang der siebziger Jahre. Die ihn kannten, sagten, daß er sich von diesem Angriff nicht wieder erholt habe.
Kurioserweise wurde im gleichen Jahr jenseits der
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