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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Frau hinter dem Tresen vorstellte. Durchquerte man die Bar, stieß man auf einen Raum mit einer kleinen Tanzfläche und einem Séparéé.«
    Ich war einmal dort, in der Tusculum-Bar, habe viel bordeauxroten Plüsch in Erinnerung, Pärchen besuchten jene Bar gern, weil sie offensichtlich nicht gesehen werden wollten, ein paar schillernde Nachtmenschen amüsierten sich und vielfach auch Homosexuelle.
    Um die Ecke vom »Tusculum« stand noch das Hotel Fröhlich, der letzte Gosenausschank. Das Gebäude verschwand, als das Wintergartenhochhaus errichtet wurde, vermutlich um die berühmte Baufreiheit zu schaffen.
    Drei Kneipen außerhalb des Stadtzentrums, die alle im Süden lagen, sollen unbedingt noch erwähnt werden. Da wäre zunächst das in der Shakespearestraße gelegene »Bräustübl«. Die Bierstube betrieb ein Chinese. Die haben bekanntlich im Deutschen Probleme mit dem Aussprechen eines »r«. Es rutscht ihnen dafür ein »l« aus dem Mund. Und dadurch wurde quasi aus dem »Bräustübl« ein »Bläustübl«.
    Kurioserweise hatte der chinesische Wirt meist einen bläulichen Dederonkittel an und addierte bei der Rechnung mit einem Kopierstift, den er mit der Zunge befeuchtete. Hätte meine Mutter dies jemals gesehen, so hätte sie ihn gewarnt, daß der Stift doch giftig sei! Aber so schlimm scheint es mit dem Gift nicht gewesen zu sein, denn er hat das über Jahre praktiziert. Kurze Striche verliefen wegen dieser Angewohnheit jeweils senkrecht über seine Unterlippe und waren auch links oben an der Tasche seines Kittels zu sehen, in die er nach der Rechnerei den Stift wieder hineinsteckte.
    Unvergeßlich ist mir seine Zusammenfassung meiner Zeche, als ich bezahlen wollte: »Ein Bockwulst, ein Biel!«
    Ein urgemütliches Lokal waren die holzgetäfelten »Horns Weinstuben« in der Arndtstraße. Wie der Name schon sagt, gehörte die Gaststätte dem Hornano-Produzenten. Die Firma Wilhelm Horn war und ist wieder eine Branntwein- und Likörfabrik, Weinhandlung und Wermutkellerei. So sah man in den hölzernen runden Deckenlampen ebenso das berühmte Horn-Zeichen wie auf den Glasscheiben der laternenähnlichen Lampen. An der Theke Reliefs von Weinglas und Weintraube. Die dunklen Holzstühle erinnerten in der Form an einen mittelalterlichen Weinausschank. Das Restaurant, 1931 eingerichtet, war komplett erhalten. Auch hier vernichtete erst die letzte große Verstaatlichungswelle Anfang der siebziger Jahre ein Stück Leipziger Lokalgeschichte.
    Die dritte Kneipe im Süden war gar keine, sondern eine Nachtbar. Sie firmierte unter »Haus Connewitz«, aber so sagte kein Mensch. Man ging zu »Schorschl« – eine heiße Adresse für Tanzwütige und solche, die noch von etwas mehr träumten. Theoretisch mußte hier keiner allein nach Hause gehen. Es sei denn, er wollte es mit Macht.
    Zur Messe schwirrten bei »Schorschl« alle Dialekte der Bundesrepublik durch den Raum, und den Ausstellern und Kaufleuten klebten vom hitzigen Tanz die Nylonhemden auf der Haut. Schwer atmend ließen sich die älteren Herren aus Dortmund und Castrop-Rauxel und von woher sie sonst noch nach Sachsen geströmt waren, auf ihrem Stuhl nieder. Zu Hause erzählten sie wohl ihrer lieben Frau, wie sie sich zur Leipziger Messe wieder von früh bis abends für die Firma geschunden hatten und daß sie sich nun erst einmal von diesem Streß erholen müßten. Und all die Herren waren jedes Jahr von Herzen froh, daß ihre Frauen allesamt nicht das geringste Interesse zeigten, die Ehemänner in den grauen kommunistischen Osten zu begleiten …
    Wenn sie sich im Jahr darauf wieder fröhlich von derGattin verabschiedeten, keimte vielleicht doch irgendwo in der großen Bundesrepublik, in einem Einfamilienhaus mitten im Grünen ein leiser Verdacht: Weshalb wollte der treue Gatte wohl ums Verrecken nicht auf Leipzig verzichten?
    * Alle in diesem Text kursiv gekennzeichneten Stellen entnahmen wir den Aufzeichnungen von Lutz Lippold.

Nachtfee
    Die Straßenbahn war für uns Studenten in den Sechzigern das Verkehrsmittel. Ich kannte niemanden, der ein Fahrrad mit in Leipzig gehabt hätte oder ein Motorrad. Nicht mal einen runtergekommenen Trabant besaß jemand in meinem Freundeskreis. Geschweige denn ein richtiges Auto!
    Den Fahrplan kannten wir auswendig; trotzdem blieb uns das Warten an der Haltestelle oft nicht erspart. Aus unterschiedlichen Gründen fielen immer wieder Bahnen aus. Im Winter war Straßenbahnfahren besonders riskant. War irgendwo eine Weiche eingefroren

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