Mauer, Jeans und Prager Frühling
lachte. »Nein, ich sag’s ihr morgen.«
Wir stießen an, in jener Diele, die einst bestimmt rauschende Feste erlebt hatte; und von einem Moment zum anderen war dieses berühmte Verstehen zwischen uns, dieses Gefühl, daß man sich schon ewig kennt. Nach einer halben Stunde war jegliche Fremdheit verflogen.
»Du warst plötzlich mitten in der Nacht da – wie eine gute Fee.« Sie lächelte mich an. »Eine Nachtfee geht wieder, wenn es Tag wird. Und zeigt sich nie wieder.«
Als ich das Haus verließ, dämmerte es schon. Ich hörte die Vögel singen, mich kümmerte keine Straßenbahn, und ich lief nach Hause. Unterwegs mußte ich bei dem Gedanken lächeln, daß sich ihr Verlobter wohl wundern würde, warum sie für sich keine Roulade gemacht hatte. Ihre war die beste, die ich in meinem Leben gegessen habe!
Und meine Nachtfee habe ich tatsächlich nie wieder gesehen.
Ein bißchen Westen, zweimal im Jahr
Transparente mit sinnlosen Sprüchen hielten sich bis zum Ende der DDR. Sie waren einfach nicht totzukriegen! In den sechziger Jahren hing man kurz vor einer Herbstmesse im Leipziger Zentrum folgende Losung auf: Ohne Kapitalisten lebt es sich besser!
Doch war der kernige Merksatz in den Regen geraten, und einige Buchstaben hatten sich gelöst. Als eine Abnahmekommission vor Messebeginn das Zentrum besichtigte, entschied man sich allerdings nicht dafür, den Schaden zu beheben, sondern im wahrsten Sinne für die Abnahme, weil irgend jemand bemerkte, daß der Satz für diesen Anlaß nicht sehr glücklich gewählt sei, denn man wolle schließlich mit jenen Kapitalisten Geschäfte machen …
Mein erster Besuch in der Messestadt Anfang der sechziger Jahre ist mir unvergeßlich geblieben! Eine Verwandte arbeitete als Standhilfe bei einer ausländischen Firma. Ich besuchte sie und bekam französischen Kognak angeboten! Wahnsinn! Wahrscheinlich sah ich den gläsernen Aschenbecher auf dem Tisch so verzückt an, daß sie ihn mir schließlich nebst »Westzigaretten« schenkte! In meiner Zwickauer Junggesellenbude erregte er über Jahre Aufsehen durch den Schriftzug »Cognac Martell«.
Als ich dann in Leipzig wohnte, verbrachte ich unzählige Stunden auf der Buchmesse. Ein Bekannter erzählte mir einst Unglaubliches. Er hatte unbedingt ein bestimmtes Buch haben wollen und bekam von einem westdeutschen Verlagsmitarbeiter folgendes gesagt: »Ich darf es Ihnen weder verkaufen noch schenken – ich kann mich nur mal umdrehen …«
Und man drehte sich oft um auf der Buchmesse!
Am Schluß gab es an einigen Ständen fast nur leere Regale,obwohl sie mehrmals aufgefüllt worden waren. Natürlich liefen Aufpasser durch die Gänge, und die allgegenwärtige Stasi schlich auch um die Kojen, aber sie konnten eben doch nicht überall sein. Wenn ein Student erwischt wurde, drohte die Exmatrikulation. Und so waren Hitzewellen und Herzklopfen angesagt, ehe ein Grass, ein Sartre oder ein Kafka in der weiten Kutte verschwand.
Bücherklauen zu DDR-Zeiten war quasi geistiger Mundraub!
Am beliebtesten waren Taschenbücher, weil sie, wie der Name schon sagt, hervorragend in Taschen paßten.
»Glombi«, der Maler Günter Glombitza, besaß einen »Messe-Mantel«. Die beiden M, die in Leipzig für Muster-Messe stehen, bekamen hier eine völlig andere Bedeutung. Und wofür brauchte er ein solches Kleidungsstück? Ganz einfach: An den Innenseiten hatte er sich zusätzliche Taschen eingenäht, um die begehrten Bücher blitzschnell verschwinden zu lassen. Es gab echte Meister im Klauen. Manche hatten einen Schnellhefter in der Hand, schrieben sich ein paar Passagen oder Angaben ab, standen auf, legten das Buch unter die Mappe und gingen seelenruhig aus dem Messestand. Das war die Variante für Leute mit stahlharten Nerven.
Viele Stände der Westverlage waren ewig überfüllt und mit einem Seil am Eingang abgesperrt, weil die Leute nur schubweise eingelassen werden konnten.
Studenten verdienten sich zu den Messen gern ein paar Mark dazu. In einem kalten, verschneiten Frühjahr verkaufte ich mit einem Buchhändler auf der Technischen Messe für die Franz-Mehring-Buchhandlung Literatur. Der Verkauf fand im Vorraum der Kollektivausstellung von Großbritannien statt. Dort zog es mörderisch! Eine sympathische und hübsche Medizinstudentin, die am Stand einer britischen Firma arbeitete, war um unser Wohl bemüht und versorgte uns mit Getränken, die den Ausbruch von Erkältungskrankheiten verhindern sollten. Nie werde ich die Pausen mit
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