Mauer, Jeans und Prager Frühling
Frau entleiben wollte. »Paul, komm raus, wir bringen das schon wieder in Ordnung mit Elfie«, riefen sie, unterstützt von Bahnpolizisten mit Taschenlampen und Hunden … Als der Schwindel herauskam, hatte der Zug schon eine halbe Stunde Verspätung, und die Meisterkünstler erwartete am nächsten Tag ein schwerer Verweis ihres Intendanten.
Als ausgesprochenes Eigentor erwies sich eine Aktion während einer D-Zugfahrt nach Berlin zum Synchronstudio. Diesmal reiste»Macky« Neiß mit, dem das ungeheure Gedränge im Waggon auf die Nerven ging. Als der Zug unterwegs hielt, stellte er sich auf den Bahnsteig und brüllte: »Der letzte Waggon wird hier abgehängt, bitte alle Reisenden in den vorderen Zugteil umsteigen!«
Nach kurzem, aber heftigem Durcheinander von Menschen, Koffern und Taschen saßen die Herren vom Leipziger Schauspiel allein und sehr bequem im letzten Waggon – wo sie allerdings noch lange bleiben sollten, denn ein Rangierer hatte »Mackys« Anweisungen wörtlich genommen und den Wagen abgekoppelt!
Eine Besonderheit unter den Theaterkneipen war die 1962 als Imbiß für Kabarettbesucher eröffnete in der »Pfeffermühle« am Thomaskirchhof, die viele Jahre von Inge Rosenblatt betrieben wurde. Die »Mühlen-Kneipe« von heute ist leider des alten Interieurs beraubt.
In den sechziger Jahren stand die Einrichtung noch in der Tradition alter deutscher Brettlkneipen. Das lag vor allem an den originellen Objekten des ehemaligen Requisiteurs Wolfgang Haarhaus, des letzten Kabarettmenschen aus den legendären zwanziger Jahren, der in jener Zeit für die »Litfaßsäule« und die »Retorte« gearbeitet hatte. Er war Größen wie Tucholsky, Weinert oder Kästner begegnet und hatte mit ihnen im Künstlercafé Merkur gezecht. In der »Retorte« hatte er die besondere Ehre, während des Vortrages Herrn Joachim Ringelnatz einen Schnaps auf die Bühne zu bringen, damit der Poet, dadurch angeregt, seinen Textfaden weiterspinnen konnte.
Die Wand der »Mühlen-Kneipe« zierte ein Objekt vom Technischen Leiter Artur Rosenblatt: ein präparierter Waran in einer riesigen getrockneten Semmel warb für »Belegte Brötchen«. Daneben kuriose Haarhaus-Schöpfungen: aus Blechdosen zauberte er Gesichter – Melancholie, Wut, Trauer. Zwei Masken zeigten das Gesicht eines Menschen, statt Augen zwei Schnapsgläser. Das Gesicht am Abend blau, am Morgen grün …
Sein schönstes Stück war eine Standuhr, auf der in der Manier der Glockenmänner vom Krochhochhaus zwei Sandmännchen-Puppen standen, die zur vollen Stunde mitHolzhämmerchen an zwei übereinandergestülpte Blumentöpfe schlugen. Eine mechanische Meisterleistung! Während am Original »Omnia vincit labor« steht – wie ich mir als Nichtlateiner habe übersetzen lassen: Alles entsteht durch Arbeit, schrieb Haarhaus an der Standuhr: Omnia vincit humor. Daß »humor« im Lateinischen auch »Flüssigkeit« bedeutet, machte die Aussage besonders doppelbödig.
Die kleine Schar der Auserwählten, die nach der Vorstellung noch »akkreditiert« war, beschränkte sich ursprünglich auf persönliche Freunde der »Müller« und gelegentlich einige Hausbewohner, denn zu dieser Zeit lebten im Bosehaus noch »richtige Menschen«. Mit der Herbstmesse 1968 entwickelte sich die »Mühlen-Kneipe« zum Treffpunkt der Westpresse, was natürlich die Genossen vom VEB Horch und Guck besonders zur Akkreditierung anregte. Dem Pfeffermüller Siegfried Mahler ist noch ein Mann in Erinnerung, der sich an einem der Stehtische mit dem Satz ins Gespräch mischte: »Ich gomme ooch aus Göln!«
Ein besonders schöner Ort für nächtliches Amüsement war in der Großen Fleischergasse die Regina-Bar – eine urgemütliche kleine private Tanzbar.
Sie gehörte einem reichen Antiquitätenliebhaber, war mit durchaus qualitätsvollen Gemälden des 19. Jahrhunderts und heute kaum noch zu bezahlendem Zinn ausgestattet. Die Bar erstreckte sich über zwei Etagen, die durch eine halsbrecherische Treppe verbunden waren, auf der nach unbestätigten Meldungen auch schon einige Trunkenbolde in die ewigen Zechgründe gestürzt waren. Man hielt dort sehr auf Etikette. Ein Entreéchef im Frack mit einem Gesicht, als hätte er gestern noch auf Schloß Windsor gearbeitet, achtete streng darauf, daß jeder männliche Gast eine Krawatte trug … Als sich im Sommer einmal gar nichts Passendes finden wollte, verschwand einer unserer Kumpane kurzentschlossen auf der Toilette, von wo er nach einer halben Stunde, angetan mit
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