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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Corned-Beef-Brötchen und nahezu randvollenWhisky-Gläsern vergessen! Daß die Abrechnung scheinbar doch gestimmt hat, zählt zu den Wundern dieser eisigen Frühjahrsmesse.
    Sowohl in den Messehäusern der Innenstadt als auch auf dem Gelände der Technischen Messe brach jeden Tag das Sammelfieber aus. Alt und jung grabschte nach Prospekten. Plastiktüten (heute unvorstellbar!) waren damals eine begehrte Beute. Beim Verteilen von Kugelschreibern wurden sogar schon mal die Ellenbogen eingesetzt. Und wenn gar bei Café do Brasil die geliebte schwarze Brühe in Plastikbecher floß, dann drängelte die gierige Masse, als käme das süffige Getränk erstmals in der DDR zum Ausschank.
    »Auf die Messe« durfte man erst ab 14 Jahre. So kletterten mutige Kinder über die Zäune und schlichen sich in die Messehäuser. Mein Freund Guido fand als 12jähriger mit Kumpels einen Weg über die Toilette vom Capitol in den Petershof, um am Matchbox-Stand die heißersehnten Prospekte abzufassen. Sie drückten sich auch gern vor dem Ausländertreffpunkt am Neuen Rathaus herum, um dort die Autos in die Parklücken einzuweisen. Ihr Winken war letztlich nur eines mit dem Zaunspfahl, um ein paar Münzen, Schokolade oder Zigaretten zu schnorren.
    Stefanie, meine spätere Frau, half jahrelang im Messehof an einem Stand. Leider bei keiner für uns attraktiven Firma – weder Käse noch Rotwein oder Obst wurden gehandelt, sondern nur Sämereien. Wir besaßen aber nicht ein einziges Stückchen Land, wo wir den West-Grassamen hätten ausstreuen können. Damit hatte sie auch kein Äquivalent für den heftig florierenden Interkojenhandel auf der Lebensmittelschau.
    Die Modalitäten für die Anstellung von Personal wurden vom Messeamt geregelt: Der Aussteller mußte eine Standhilfe für eine festgelegte Zeit anfordern. Den Lohn bekamen die Aushilfskräfte natürlich in Ost-Mark gezahlt, aber der Aussteller mußte ein Vielfaches in D-Mark nach dem üblichen Tarif für West-Hostessen an das Messeamt zahlen.
    An den Ständen gab es Kontrollen, und wenn sich dortjemand unbefugt aufhielt, mußte sie oder er gehen. Ausstellern wurden auch Strafen angedroht, wenn sie sich nicht an die Regelung mit dem Messeamt hielten.
    Unglaublich, wie sich Geschäftspartner, speziell vom DDR-Außenhandel, während der Verhandlungen mit den West-Kaufleuten aufführten. Die Abschlüsse wurden meist von denselben Leuten ausgehandelt. Dadurch entstanden lockere Kontakte. Der Messechef meiner Frau brachte – zumeist illegal – über die Grenze mit, was sich die DDR-Herren wünschten. So erhielten sie beispielsweise Medikamente, Uhren oder Spirituosen geschenkt. Bei Genex, wo nur Aussteller einkaufen konnten, wurden reichlich Genußmittel erworben, und ein Teil der besten Sachen wanderte heimlich in die Aktentaschen der DDR-Außenhandels-Kaufleute. Stefanie mußte den Herren dann die Taschen zum Parkplatz tragen, dabei reichlich Abstand wahren, denn von den Geschenken durfte im Messehaus niemand wissen. Vermutlich wurden auch die Außenhandelsleute überwacht, um zu verhindern, daß bestochen wurde.
    Weil ich gerade Genex erwähnt habe … Diese Firma organisierte für die Aussteller die Messeversorgung. Große Lager existierten an verschiedenen Punkten der Stadt, um die Genexläden in den Messehäusern zu beliefern. Ein Freund von mir studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete Mitte der sechziger Jahre mit Kommilitonen zur Messe in einem Genex-Lager im Neuen Rathaus. Da wurden beispielsweise Kartons aus Holland angeliefert, in denen sich Herren- und Damenpullover befanden. Andere enthielten Strümpfe, Unterwäsche, Schirme, kleine Radios und Genußmittel. Die jungen Leute überlegten nun inmitten dieser Schätze, wie sie zum Beispiel eine edle Spirituose trinken könnten, ohne sie zu stehlen. Die, sagen wir … einfach zu Bruch gegangen wäre … Wie konstruierte man einen Versicherungsschaden? Denn die Versicherung zahlte nur, wenn die Verschraubung, also der Verschluß unversehrt war.
    In dem Lager arbeiteten Studenten aller Fachrichtungen.Bei der gestellten Aufgabe war Physik vonnöten. Sie setzten sich zusammen und konnten schließlich »Heureka!« rufen: eine Schnur wurde in Benzin getaucht – das war von einem Feuerzeug abgezapft worden –, sehr straff um den Hals der Flasche gewickelt und angezündet. Die Flammen erwärmten natürlich das Glas enorm, und mit einem klirrenden »Klick« wurde das Oberteil der Flasche abgesprengt. Es lag wie abgeschnitten auf

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