Mauer, Jeans und Prager Frühling
einem zugegeben etwas extravaganten Kreppschlips wieder erschien. Er erzählte uns später, er habe knapp zwei Rollen Toilettenpapier zu dessen Anfertigung benötigt – wegen der mangelhaften Reißfestigkeit!
In der »Regina« feierte auch Rektor Georg Mayer mit prominenten Leipziger Wissenschaftlern oder anderen guten Bekannten. Folgende Anekdote ist von ihm aus jener Bar überliefert: Er sitzt bei einem Glas Wein, eine leicht angetrunkene Frau singt vor sich hin. Zwei Herren kommen in die Bar und bitten nach einer Zeit die Frau, doch etwas leiser zu singen. Der Mayer-Schorsch hört das und dröhnt durch das Lokal: »Singe, wem Gesang gegeben! Sind Sie denn keine Kavaliere?!«
Die Herren erschrecken, noch mehr, als der Kellner sie aufklärt, wer sie da zur Räson gerufen hat. Sofort ordern sie Kognak für ihren Canossagang, entschuldigen sich, und nach kurzer Zeit mündet alles in ein lebhaftes fröhliches Gespräch. Nicht lange hin und Mayer-Schorsch ruft der immer noch singenden Dame zu: »Nun hören Sie endlich mal auf! Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr!«
Ein Bekannter von mir schwärmt noch heute vom edlen russischen Kognak und den guten Steaks in der Bar. Er entsinnt sich, daß zu seiner Überraschung eines Abends einer der Musiker der Zwei-Mann-Kapelle folgendes Lied sang:
Ick sah ’nen Mann am Bahnhof stehn,
mit glatt rasiertem Kinn.
Da dacht’ ick mir in meinem Sinn,
da muß doch etwas hin!
Drum ließ ick mir ’nen Spitzbart stehn,
denn Spitzbart ist modern,
drum ließ ich mir ’nen Spitzbart stehn,
jawoll, mein’ Damen und Herrn!
Viel erstaunlicher als die Tatsache, daß mitten in Leipzig ein Lied in leicht Berliner Dialekt gesungen wurde, weil es vermutlich auch von dort stammte, ist, daß dieses Liedchen in der »Regina«, also nur wenige Meter von der gefürchteten Staatssicherheit geträllert wurde und die Genossen nicht erfuhren, daß hier eindeutig unser gleichbärtiger Staatsratsvorsitzender verhohnepipelt wurde.
Daß man sich in der »Regina« so wohl fühlte, war vor allemauch der Beleuchtung geschuldet. An den Wänden hingen in einem dunkel gebeizten hölzernen Rahmen Lampenpaare mit Pergamentschirmen, die mildes schummriges Licht in den Raum zauberten. Ein großer grüner Kachelofen stiftete im Winter eine besonders heimelige Atmosphäre. Drum herum stand eine Ofenbank – wahrhaft ungewöhnlich für eine Nachtbar! Einige Kacheln zierte ein »R« mit einer Krone – vielleicht hatte der Besitzer mit diesem Namen der Königin seines Herzens ein Denkmal schaffen wollen. Als das Haus abgerissen wurde, gab es die »Regina« ohne Musik und Tanz noch einige Jahre zu ebener Erde in einem Hof, einem Übergang von der Hain- zur Katharinenstraße, und nun existiert sie schon lange nur noch in den Erinnerungen ihrer einstigen Besucher.
Unsere Zechtouren beschränkten sich nicht auf die Innenstadt, auch außerhalb des Rings existierten in Leipzig einige besondere Bars, Restaurants und Kneipen. Legendär seit Generationen war im Osten die »Grüne Schenke«. Weder ein Ort für Forstangestellte noch ein früher Treff von Umweltgruppen, sondern ein verrufenes Lokal mit Tanzsaal. Das Haus war berühmt für seinen Wechselball. Traditionell nach dem Motto: »Den Damen zur Freude, den Männern zur Qual – Damenwahl!« Viele Männer verließen daraufhin fluchtartig den Saal in Richtung Toilette. Sie trieb die schnöde Angst, daß sich Damen ihrer bemächtigen könnten, die sie nicht für Geld und gute Worte über das Parkett schieben wollten.
Professor Heinz Wagner war seinerzeit gerade frisch in Leipzig angekommen und fragte, wo denn in der Stadt etwas los wäre. Da bekam er den heißen Tip: »Gehn Se mal in die ›Grüne Schenke‹, da is immer was los!« Also ist er mit einem Freund dorthin. Als Wagner den Saal betrat, war gerade Damenwahl, eine Frau schnappte sich ihn mit den Worten: »Komm, ich hab heut Zeit, mein Mann hat Nachtschicht.«
Um einige Spuren feiner ging es in der Wintergartenstraße zu. Betrat man das Hotel Stadt Rom, wovon trotz schwerer Kriegsschäden noch ein Rest erhalten war, kamman in ein Foyer mit Marmorsäulen und Steinfußboden. Versunkene Pracht. Eine geschwungene Treppe führte in den ersten Stock. Nur noch wenige Zimmer wurden genutzt. Ein Bekannter erinnert sich: »Links befand sich eine Bar. Die Bardame trug damals schon enganliegende schwarze Lederhosen, die die Figur betonten. Sie hatte rote Haare, sah also genauso aus, wie man sich solch eine
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