Maulende Rebellen, beleidigte Zicken
wenig, denn sie bestätigen zu Unrecht, dass Vergeben gleichzusetzen ist mit dem Ignorieren eines Unrechts. Wenn man vergibt, dann tut man so, als ob das Unrecht nie passiert wäre. Warum also sollte man vergeben? Weil Vergeben in keinster Weise bedeutet, dass man die Tat vergisst oder einfach über sie hinwegsieht. Das menschliche Gehirn ist ohnehin nicht in der Lage, ein erlebtes Unrecht zu vergessen - und somit ist diese Redensart unsinnig.
Manchmal wird ein Täter bestraft und dadurch das Bedürfnis des Verletzten nach Gerechtigkeit zumindest teilweise gestillt. Ein Gerichtsprozess, eine Haftstrafe oder ein Urteil, das das geschehene Unrecht öffentlich macht, helfen da oft ein bisschen. Aber letztendlich fühlt der Täter weder den Schmerz, den er einem anderen zugefügt hat, noch kann er die Tat zurücknehmen. Der Schmerz und die Verletzung bleiben und beeinflussen das Leben, das Verhalten und die Entscheidungen des betroffenen Menschen oft noch jahrelang. Eine Frau, die vor ihrer Ehe vergewaltigt wurde, kann manchmal 20 Jahre später ihrem Mann immer noch nicht vertrauen, obwohl er sie nie schlecht behandelt hat. Ein Kind, das den Unfalltod eines Freundes beobachtet hat, wird auch als junger Mensch noch mit der Angst leben, dass alle Menschen, die ihm nahestehen, ständig in Gefahr sind, und sich deshalb vielleicht nicht auf enge Beziehungen einlassen. Ein Mann, der in der Armut der Nachkriegszeit aufwuchs, wird niemals verstehen, wie andere so unbedacht mit Lebensmitteln umgehen oder Dinge wegschmeißen, die vielleicht noch benutzt werden können. Diese Erlebnisse prägen einen Menschen und machen Vergebung damit zu einem wichtigen Thema.
Wenn man ein Unrecht erlebt, dann spürt man zuerst einmal Schmerz: Von einem leichten Ziehen im Brustbereich bis hin zur rohen Verzweiflung. Je nach Art des Vergehens spürt man diesen Schmerz nur, wenn man sich an die Tat erinnert, oder er ist so überwältigend, dass er zum
Teil des täglichen Lebens wird. Vielen Menschen wird dieses Gefühl des Verletztseins zu viel und sie werden wütend. Diese Wut ist angebracht und oft hilfreich. Sie schützt davor, sich wieder in eine ähnliche Situation zu begeben und nochmals verletzt zu werden und sie erlaubt es, sich gegen den lähmenden Schmerz zu wehren und im täglichen Leben zu funktionieren. Die Wut macht stark genug, den Täter zu konfrontieren, die Polizei zu rufen oder während der Gerichtsverhandlung etwas zu sagen.
Und dann? Dann bleibt man entweder im Schmerz oder in der Wut stecken. Diese Gefühle prägen dann das Leben. Sie beeinflussen alle Erlebnisse und Beziehungen. Oft scheint sich die Person gar nicht mehr erinnern zu können, dass das Leben einmal anders aussah und sich vor allem anders anfühlte. Sind Sie schon einmal jemandem begegnet, der in seiner Wut stecken geblieben war? Wollten Sie Zeit mit diesem Menschen verbringen? Wahrscheinlich nicht. Diese Menschen sind normalerweise bitter und pessimistisch. Sie sehen nur das Schlechte im Leben und in anderen Menschen. Sie kritisieren alles und jeden und finden auch an einem wunderschönen, sonnigen Sommertag noch etwas auszusetzen. Sie haben keine echten Freunde und können sich über nichts von Herzen freuen. Sie hegen ständig Rachegedanken und sehen auch in unschuldigen Missverständnissen nur böse Absichten. Aus Menschen, für deren Schicksal man Mitleid empfand, sind Menschen geworden, die keiner wirklich mag. Kennen Sie einen solchen Menschen? Sind Sie es vielleicht sogar selbst?
Dann gibt es diejenigen, die nach der Verletzung im Schmerz stecken bleiben. Sind Sie so jemandem schon einmal begegnet? Diese Menschen sind normalerweise traurig, niedergeschlagen, müde und erschöpft. Und wenn man Zeit mit ihnen verbringt, dann fühlt man sich danach genauso. Sie sehen sich als ständige Opfer und haben das Gefühl, dass die Welt darauf aus ist, ihnen wehzutun oder ihnen weiteres Unrecht zuzufügen. Jedes Mal, wenn man ihnen vorschlägt, wie sie ihr Leben verbessern oder sich einfach nur besser fühlen könnten, dann antworten sie: »Ja, aber …« Und beschreiben ausführlich, warum der Vorschlag sowieso nicht umsetzbar ist, warum Ihre Idee von Anfang an unsinnig war und warum alle Versuche, etwas Freude in ihr Leben zu bringen, ganz sicher fehlschlagen werden. Nach einem solchen Gespräch fühlt man sich hilflos, frustriert, entmutigt und ausgelaugt und man hat das Gefühl, dass diese Menschen sich gar nicht besser fühlen wollen , sondern sogar
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