Maurice, der Kater
Galle und zorniger Bissigkeit?«
»Nun, äh…«
»Genau.« Rattenfänger 1 lächelte.
»Aber ich lasse jene Kinder nicht gern hier zurück.«
»Sag nicht ›jene Kinder‹, sondern einfach nur ›die Kinder‹. Wie oft habe
ich dir gesagt, dass du dich nicht zu fein ausdrücken sollst? Regel 27 der
Gilde: Klinge dumm. Die Leute werden misstrauisch, wenn sich
Rattenfänger zu gewählt ausdrücken.«
»‘tschuldigung.«
»Rede blöd, und sei schlau. So mache ich das«, sagte Rattenfänger 1.
»Tut mir Leid, hab’s vergessen.«
»Bei dir ist es eher umgekehrt.«
»Kommt nicht wieder vor. Einfach nur ›die Kinder‹, in Ordnung. Aber
es ist grausam, Leute zu fesseln. Und es sind doch nur Kinder.«
»Und?«
»Es wäre leichter, sie durch den Tunnel zum Fluss zu bringen, ihnen
eins über die Rübe zu geben und sie ins Wasser zu werfen. Sie sind
meilenweit stromabwärts, bevor man sie herausfischt, und
wahrscheinlich kann man sie gar nicht mehr erkennen, wenn die Fische
mit ihnen fertig sind.«
Es folgte eine Pause im Gespräch. Dann hörte Maurice, wie
Rattenfänger 1 sagte: »Ich wusste gar nicht, dass du so gutherzig bist,
Bill.«
»Ja, und außerdem habe ich eine Idee, wie wir den Pfeifer loswerden
können…«
Die nächste Stimme kam von überal . Sie rauschte wie Wind, und im
Herzen dieses Winds erklang ein Stöhnen wie von Agonie. Sie fül te die
Luft.
NEIN! Wir können den Pfeifer gebrauchen!
»Nein, wir können den Pfeifer gebrauchen«, sagte Rattenfänger 1.
»Stimmt«, bestätigte Rattenfänger 2. »Das ging auch mir gerade durch
den Kopf. Äh… wie können wir ihn gebrauchen?«
Wieder hörte Maurice in seinem Kopf etwas, wie einen durch Höhlen
wehenden Wind.
Ist es nicht OFFENSICHTLICH?
»Ist es nicht offensichtlich?«, fragte Rattenfänger 1.
»Ja, offensichtlich«, sagte Rattenfänger 2. »Ganz offensichtlich ist es
offensichtlich. Äh…«
Maurice beobachtete, wie die Rattenfänger mehrere Käfige öffneten,
Ratten packten und in einen Sack warfen. Gekochter Schinken teilte
dieses Schicksal. Und dann gingen die Rattenfänger, zogen die beiden
anderen Menschen mit, und Maurice fragte sich: Wo in diesem
Kellerlabyrinth gibt es ein mauricegroßes Loch?
Im Dunkeln können Katzen nicht sehen. Sie brauchen zumindest ein
wenig Licht, dann sehen sie recht gut. Ein Hauch Mondschein fiel hinter Maurice herab. Er kam durch ein kleines Loch in der Decke, kaum groß
genug für eine Maus und gewiss nicht groß genug für Maurice, selbst
wenn er es hätte erreichen können.
In diesem Licht sah er einen anderen Keller. Die Rattenfänger schienen
ihn ebenfal s zu benutzen – einige Fässer standen in der Ecke, und
zerbrochene Rattenkäfige waren aufeinander gestapelt. Maurice schlich
umher und suchte nach einem Ausgang. Er fand Türen, aber sie hatten
Knäufe, und das Rätsel von Türknäufen hatte Maurice trotz seines
mächtigen Gehirns noch nicht gelöst. Er fand ein weiteres Gitter und
quetschte sich hindurch.
Noch ein Keller. Und noch mehr Kisten und Säcke. Wenigstens war es
hier trocken.
Was für ein Ding bist du?, fragte eine Stimme hinter ihm.
Er wirbelte herum, sah aber nur Kisten und Säcke. Es roch noch immer
nach Ratten, und es raschelte dauernd, und gelegentlich ertönte ein leises
Quieken, aber dieser Ort war ein kleines Stück des Himmels im Vergleich
mit der Höl e des Käfigraums.
Die Stimme war von hinten gekommen. Und er hatte sie gehört. Er glaubte, so etwas wie die Erinnerung an eine Stimme zu haben, die das
Innere seines Kopfes ohne den Umweg über die zerfransten Ohren
erreicht hatte. Bei den Rattenfängern schien es ähnlich gewesen zu sein.
Sie hatten gesprochen, als hätten sie eine Stimme gehört und sie für ihre
eigenen Gedanken gehalten. Aber eigentlich war es gar keine Stimme.
Ich kann dich nicht sehen, dachte die Erinnerung. Ich weiß nicht, was du bist.
Erinnerungen hätten sich bestimmt eine bessere Stimme gewünscht.
Sie bestand nur aus Zischen und glitt wie ein Messer ins Bewusstsein.
Komm näher.
Maurices Pfoten zuckten, und die Muskeln in seinen Beinen wol ten
ihn bewegen. Er fuhr die Kral en aus und wahrte die Kontrolle über sich.
Jemand versteckt sich zwischen den Kisten, dachte er. Und
wahrscheinlich wäre es keine gute Idee gewesen, etwas zu sagen. Die
Leute reagierten komisch auf sprechende Katzen. Man konnte sich nicht
darauf verlassen, dass alle so verrückt waren wie das Geschichten
erzählende
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