Maurice, der Kater
Sonnenbraun sah nun, dass er schwitzte. »Einige Stadträte hat sie ziemlich eingeschüchtert, ha ha.«
»Ha ha«, sagte Sonnenbraun.
Der Bürgermeister wirkte zutiefst unglücklich und suchte nach Worten, um etwas zu sagen. »Hast du dich, äh, gut eingerichtet?«, fragte er.
»Ich habe die letzte Nacht damit verbracht, in einer Rattengrube gegen einen Hund zu kämpfen, und dann saß ich eine Zeit lang in einer Falle fest«, antwortete Sonnenbraun mit einer Stimme wie Eis. »Und dann gab es eine Art Krieg. Abgesehen davon kann ich nicht klagen.«
Der Bürgermeister musterte ihn besorgt. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Sonnenbraun, wie ihm ein Mensch Leid tat. Der dumm aussehende Junge war anders gewesen. Der Bürgermeister schien ebenso müde zu sein wie Sonnenbraun.
»Weißt du«, sagte Sonnenbraun, »ich glaube, es könnte klappen – wenn es das ist, was du mich fragen möchtest.«
Die Miene des Bürgermeisters erhellte sich. »Im Ernst? Am Tisch dort drüben wird viel gestritten.«
»Deshalb glaube ich, dass es klappen könnte«, sagte Sonnenbraun. »Menschen und Ratten streiten sich. Ihr vergiftet nicht unseren Käse, und wir pinkeln nicht in eure Milch. Es wird nicht leicht sein, aber es ist ein Anfang.«
»Es gibt da etwas, über das ich Bescheid wissen muss«, sagte der
Bürgermeister.
»Ja?«
»Ihr hättet unsere Brunnen vergiften können. Es wäre euch möglich
gewesen, unsere Häuser in Brand zu setzen. Von meiner Tochter weiß ich, dass ihr sehr… modern seid. Ihr schuldet uns nichts. Warum habt ihr nichts gegen uns unternommen?«
»Zu welchem Zweck?«, erwiderte Sonnenbraun. »Und was hätten wir anschließend tun sollen? Zur nächsten Stadt weiterziehen und dort alles zerstören? Was wäre durch das Töten für uns besser geworden? Früher oder später hätten wir ohnehin versuchen müssen, mit den Menschen zu reden. Warum also nicht mit euch?«
»Ich bin froh, dass ihr uns mögt!«, sagte der Bürgermeister. Sonnenbraun öffnete den Mund, um zu sagen: Euch mögen? Wir hassen euch nur nicht genug. Wir sind keine Freunde. Aber…
Von jetzt an gab es keine Rattengruben, Fallen und Gift mehr. Zugegeben, er musste dem Clan erklären, was die Aufgaben eines Polizisten waren und warum ein Rattenwächter Ratten verfolgte, die gegen die neuen Regeln verstießen. Es würde ihnen nicht gefallen. Es würde ihnen ganz bestimmt nicht gefallen. Selbst eine Ratte, an der die Zähne der Knochenratte Spuren hinterlassen hatten, musste dabei Probleme erwarten. Aber wie Maurice gesagt hatte: Sie machen das, und du machst dies. Niemand wird viel verlieren, und alle gewinnen viel. Die Stadt blüht auf, die Kinder aller Leute wachsen heran, und plötzlich erscheint alles normal.
Und alle möchten, dass die Dinge normal sind. Es gefällt niemandem, wenn sich normale Dinge verändern. Es ist einen Versuch wert, dachte Sonnenbraun.
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte er. »Seit wann bist du das
Oberhaupt deines Volkes?«
»Seit zehn Jahren«, antwortete der Bürgermeister.
»Ist es nicht schwer?«
»O ja. Dauernd streiten sich die Leute mit mir«, sagte der Bürgermeister.
»Allerdings nehme ich an, dass sie sich etwas weniger mit mir streiten werden, wenn dies funktioniert. Nein, es ist gewiss kein leichter Job.« »Ich finde es absurd, dass man dauernd schreien muss, damit etwas erledigt wird«, sagte Sonnenbraun.
»Ja, stimmt«, pflichtete ihm der Bürgermeister bei.
»Und alle erwarten von einem, dass man Entscheidungen trifft«, sagte
Sonnenbraun.
»Wie wahr.«
»Das letzte Oberhaupt meines Volkes gab mir einen Rat, bevor er starb:
›Friss nicht das grüne wabbelige Ding.‹«
»Ein guter Rat?«, fragte der Bürgermeister.
»Ja«, sagte Sonnenbraun. »Aber mein Vorgänger brauchte nur groß und stark zu sein und gegen andere Ratten zu kämpfen, die Anführer werden wollten.«
»So ähnlich geht es auch im Stadtrat zu«, meinte der Bürgermeister. »Wie bitte?«, fragte Sonnenbraun. »Du beißt die Stadträte in den Nacken ?«
»Noch nicht«, sagte der Bürgermeister. »Aber es klingt nach einer guten Idee.«
»Es ist alles viel komplizierter, als ich dachte!«, sagte Sonnenbraun verwirrt. »Nachdem man gelernt hat zu schreien, muss man lernen, nicht zu schreien!«
»Auch da hast du Recht«, erwiderte der Bürgermeister. »Genauso ist es.« Er legte die Hand auf den Schreibtisch, die Innenfläche nach oben. »Darf ich?«
Sonnenbraun trat an Bord und wahrte das Gleichgewicht, als ihn der
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