Max Weber (German Edition)
‹diesseitig› gerichteten Kultur geliefert haben, etwas deutlicher zu machen. Wir fragen also lediglich, was von gewissen charakteristischen Inhalten dieser Kultur dem Einfluß der Reformation als historischer Ursache etwa zuzurechnen sein möchte.»
Der zweite Artikel über die Protestantische Ethik diente der «Erklärung» ebenjener Probleme und Zusammenhänge, die im ersten Artikel bestimmt worden waren. Weil Weber für die lutherische Ausprägung des Protestantismus dessen traditionalistische Gebundenheit konstatiert hatte, wandte er sich anderen Manifestationen des Protestantismus zu, die diesen spezifischen Gedanken in einer dem «ökonomischen Rationalismus» adäquateren Form stärker betonten. Die Präzisierung der Problemstellung wurde schon durch die Überschrift des zweiten Artikels deutlich: «Die Berufsethik des asketischen Protestantismus». Als geschichtliche Träger eines solchen «asketischen Protestantismus» identifizierte Weber den Calvinismus, den Pietismus, den Methodismus und «die aus der täuferischen Bewegung hervorwachsenden Sekten».
Wie bereits betont, wandte er sich zuerst dem Calvinismus zu und dabei insbesondere dem Dogma der «Gnadenwahl», dem Kern der sogenannten Prädestinationslehre. In detailreicher Argumentation breitete er die theologisch-dogmatische Begründung jener Lehre aus, der zufolge die Menschen um Gottes willen da sind und das menschliche Leben keinen anderen Sinn hat als den der Verherrlichung Gottes. Die «pathetische Unmenschlichkeit» einer solchen Lehre hatte in Webers Augen insbesondere eine Folge: «das Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums». Mit dieser Lehre und ihren radikalen Auswirkungen – kein Prediger, kein Sakrament, keine Kirche, in der letzten Konsequenz: kein Gott – war in den Augen Webers der Abschluss «jenes großen religionsgeschichtlichen Prozesses der Entzauberung der Welt, welcher mit der altjüdischen Prophetie einsetzte und, im Verein mit dem hellenischen wissenschaftlichen Denken, alle magischen Mittel der Heilssuche als Aberglauben und Frevel verwarf», erreicht.
Hier traf Weber auf ein Paradoxon: Wenn der Calvinismus bewirkt, dass das religiös motivierte Individuum sich aus den engsten Banden, mit denen es die Welt umfangen hält, löst, so fragt sich doch, woher die für ihn «unbezweifelbare Überlegenheit des Calvinismus in der sozialen Organisation» kommt. Weber löste dieses Paradoxon dialektisch: Gerade die spezifische Färbung, welche die christliche «Nächstenliebe» unter dem Druck der inneren Isolierung des Einzelnen durch den calvinistischen Glauben annahm, führte zur Intensivierung des sozialen Zusammenhalts. In dem unablässigen Bestreben, der Selbstverherrlichung Gottes zu dienen, sieht sich der erwählte Christ dazu bestimmt, durch seine Berufsarbeit den Ruhm Gottes in der Welt durch Vollstreckung seiner Gebote zu mehren. Was bei Luther in dessen Ableitung der arbeitsteiligen Berufsarbeit aus der «Nächstenliebe» noch ein rein gedanklicher Ansatz geblieben war, wurde nun bei den Calvinisten ein charakteristischer Teil ihres ethischen Systems: «Die ‹Nächstenliebe› […] nimmt dabei einen eigentümlich sachlich-unpersönlichen Charakter an: den eines Dienstes an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos.»
Gerade diese Passagen nicht autobiographisch zu interpretieren fällt schwer. In Rom sitzend, vom alltagsfromm praktizierten Katholizismus umgeben, sinniert der arbeitslos gewordene kranke Max Weber darüber, warum ihn ebendieses berufliche Scheitern so unendlich schwer bedrückt. Die «pathetische Unmenschlichkeit» jener Erziehung, die ihm «das Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung» vermittelte, bringt ihn dahin, einen großen religionsgeschichtlichen Prozess zu sehen, der auf die ganz grundsätzliche «Entzauberung der Welt» hinausläuft.
Die Prädestinations-Lehre Calvins führte zur Frage, an welchen Zeichen der Erwählte seine Berufung zum Heil ablesen konnte. «So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu dienen […] so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung.» Max Weber verglich diese Haltung mit der des Katholiken, für den Buße, Sakramentsgnade und Gewissheit der Vergebung, eine «Entlastung» von jener ungeheuren Spannung brachte, in welcher zu leben jedoch das durch nichts zu lindernde Schicksal des Calvinisten war. Dort, wo es für den Katholiken und selbst
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