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Maximum Trouble

Maximum Trouble

Titel: Maximum Trouble Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hen Hermanns
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Rolle mehr spielen, es muß vergessen und gänzlich wertlos sein.« Und dann noch eine Stelle. »Für diesen Typ besteht der neue Anfang darin, daß sie keinen festen Wohnsitz mehr haben, alles aufgreifen, sich an nichts hängen, ihre Wünsche und Bedürfnisse herabsetzen und schließlich — in einer aus Verzweiflung geborenen Einsicht — das Leben eines Künstlers führen.« Und: »Der wesentliche Punkt ist, daß diese Individualisten sich nicht mehr damit befassen, ein verderbliches System zu unterminieren, sondern am Rande der Gesellschaft ihr eigenes Leben zu führen.« Was war nur mit diesem Wachsmuth los? Ich verspürte ein dringendes Bedürfnis nach sehr trauriger Musik und warf dem CD-Player im Wohnzimmer den ersten und zweiten Akt von Massenets Werther in den Schlund. Die herzerweichende Stimme von Alfredo Kraus war jetzt genau richtig. Ich überlegte kurz, ob es Sinn machte, Alfredo Kraus und Carlo Bergonzi miteinander zu vergleichen, aber ich verschob das dann lieber auf ein anderes mal. Ich würde sowieso keinem von beiden gerecht werden. Und Wachsmuth? Verachtete der das Geld und das System und war abgetaucht, um Künstler zu werden? Ein Happening-Künstler, der Hühner schlachtete? Und Steffens hatte er umgebracht, weil der für das verachtete System stand? Sehr abwegig. Genauso abwegig wie dieser Werther. Brachte sich wegen einer Frau um, die er nicht kriegen konnte. Hätte mal besser Laotse gelesen und auf dieses alberne Besitzdenken verzichtet. Aber dann wäre die Oper wahrscheinlich so lustig und aufgekratzt wie ein McDonalds-Jingle geworden, und Alfredo Kraus hätte sich lächerlich gemacht. Mir wurde langsam klar, daß ich heute keinen vernünftigen Gedanken mehr auf die Reihe bringen würde. Ich gestattete mir einen letzten spielerischen Versuch. Ich schlug die Seite in Wachsmuths Buch auf, auf der diese 16stellige Nummer stand. Von vorne gelesen gab sie keinen Sinn. Aber vielleicht von hinten. Sie endete mit zwei Nullen. Und mit zwei Nullen begannen manche Auslandsvorwahlnummern. Ich ging zum Telefon und tippte die Zahlen ein. Es knackte eine ganze Weile, und dann hörte ich tatsächlich ein Freizeichen. Es hörte sich sehr weit weg an. Und dem Sound nach war es in Amerika. Dann wurde der Hörer abgehoben.
    »Carter Hotel, was kann ich für Sie tun?« fragte eine freundliche amerikanische Stimme.
    »Hallo«, sagte ich, »ich würde gerne Mr. Wachsmuth sprechen.«
    »Oh, Mr. Voksmass ist nicht da. Ich habe ihn vor einer halben Stunde wegfahren sehen.«
    »Aber er wohnt bei Ihnen?«
    »Ja. Sie sind aus Deutschland, nicht wahr?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Entschuldigen Sie, aber das höre ich an Ihrem Akzent.«
    Das ging mir immer so, ich konnte herumknödeln wie ich wollte und brauchte nur guten Tag zu sagen, schon wurde ich als Kraut identifiziert.
    »Mr. Voksmass sagte mir nämlich, wenn ein Anruf aus Deutschland kommt, dann soll ich gleich sagen, daß alles in Ordnung ist. Und ich soll sagen, daß es jetzt langsam Zeit wird, daß Sie endlich was tun.«
    »Was soll ich tun?«
    »Das hat er nicht gesagt. Soll ich etwas ausrichten?«
    »Nein, danke. Ich werde später nochmal anrufen. Sie sind doch das Carter-Hotel in Big Sur, nicht wahr?«
    »Ja sicher. Am Highway Nr. 1, ungefähr 20 Meilen südlich von Carmel.«
    »Haben Sie noch ein Zimmer frei?«
    »Sicher. Geben Sie mir nur Ihren Namen und Ihre Kreditkartennummer. «
    Ich redete wie in Trance. Anscheinend erledigte mein Unterbewußtsein das für mich, und ganz hinten in einer dunklen Ecke meines Hirns managte jemand alles, ohne mein Über-Ich oder meinen gesunden Menschenverstand erst groß zu fragen.
    Als ich auflegte, hatte ich ein Zimmer für 100 Dollar pro Nacht gebucht. Ab Dienstag abend. Und ich hatte der freundlichen amerikanischen Stimme das Versprechen abgenommen, Mr. Voksmass nichts davon zu sagen. Sollte eine kleine Überraschung sein. Ich hob den Hörer noch mal ab, und der kleine Mann in der dunklen Ecke meines Hirns telefonierte mit dem Lufthansaschalter am Köln-Bonner Flughafen und organisierte alles Notwendige für den Abflug. Ich würde leider schon sehr früh aufstehen müssen, denn der Flug ging über Frankfurt, und der Flieger in Köln startete bereits um 7 Uhr. Aber dem kleinen Mann in der dunklen Ecke meines Hirns war das egal. Immerhin kam ich dafür schon um 12.45 Ortszeit in San Francisco an. Der kleine Mann fragte nicht nach dem Preis für die Flugkarte. Er mußte den Linienflug ja auch nicht bezahlen. Nachdem

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