Maximum Trouble
Vollwaise, Besitzer von 10 Millionen in bar. Wo mochte er jetzt sein? Regel Nummer 1 bei Fahndungen war, sich in die Lage des Flüchtigen zu versetzen. Ich überlegte, wo ich hier zum Beispiel am Rodenkirchener Campingplatz, an dem ich gerade vorbeilief, ein Huhn organisieren und ihm unbemerkt den Kopf abschneiden konnte. Mir fiel nichts ein. Mir fiel auch nicht ein, wo Wachsmuth jetzt sein könnte. Aber mir wurde klar, daß ich ihn suchen wollte. Auch wenn es auf eigene Kosten sein mußte. Wenn er Steffens gestern am frühen Morgen umgebracht hatte, konnte er sich längst wieder ins Ausland abgesetzt haben. Genausogut konnte er irgendwo hier in der Gegend sein. In den Zeitungen war bisher noch nichts über den verschwundenen Wachsmuth erschienen, aber morgen würde er sicher zusammen mit dem toten Steffens Schlagzeilen machen. Warum aber sollte Wachsmuth Steffens umgebracht haben? Doch nicht etwa aus Angst, Steffens würde ihm wegen des Hausverkaufs Vorwürfe machen? Das war schließlich seine Angelegenheit. Warum hatte Lensing zuviel für die Häuser bezahlt? Hatte er vielleicht Steffens umgebracht, ihm die Federn in den Mund gesteckt und so den Verdacht auf Wachsmuth gelenkt? Aber warum? Und woher sollte Lensing überhaupt was von Wachsmuths Hühnerkillerei wissen? Wachsmuth würde kaum jemandem freiwillig von dieser skurrilen Freizeitbeschäftigung erzählen. Es half alles nichts. Es gab für niemand einen vernünftigen Grund, Steffens umzubringen. Der einzige aber, der nicht vernünftig war, war Wachsmuth. Ich mußte ihn finden.
Und dann war da noch die Frage, welchen vernünftigen Grund es gab, nicht mit Alwine zusammenzuziehen. Auch hier gab es wahrscheinlich nur eine einzige Person, die keine Vernunft hatte, und diese Person war ich. So eine wie Alwine war mir noch nie untergekommen. Und würde wohl auch nicht mehr. Wirklich Angst vor Verpflichtungen? Ich wollte nicht mehr als Nighthawk raus auf die Piste gehen. Und ich wollte, daß das mit Alwine und mir so weiter ging. Aber so nah? Ich kam mit diversen offenen Fragen vom Laufen zurück. Ich brauchte jetzt wenigstens eine kleine Bestätigung, ein paar winzige trockene Fakten. Deshalb rief ich Bohling im Präsidium an und plauderte mit ihm. Er erzählte mir, daß sie die Fingerabdrücke auf der Mordwaffe mit denen in Wachsmuths Haus verglichen hätten und daß sie übereinstimmten. Außerdem fehle im Messer-Holzblock von Wachsmuths Küche ein Messer von der Größe des Dings, das in Steffens’ Nacken gesteckt hatte. Steffens war durch den Stich in den Nacken, der voll in die Wirbelsäule ging, sofort tot gewesen. Der Tod war zwischen 2 und 7 Uhr morgens eingetreten.
Ich versuchte, das Ganze für eine Weile zu vergessen und den Fall erst mal beiseitezulegen und mich auf das Frühstück mit Alwine zu konzentrieren. Sie freute sich sehr auf die gemeinsame Zukunft im Agnesviertel, und ich ließ mich davon sogar ein bißchen mitreißen, und wir kamen in eine Stimmung, von der wir uns dann zu heftigen Aktivitäten hinreißen ließen. Später mußte Alwine dann zu ihrem Café-Job in der Südstadt und ich kaufte mir am Bahnhof einen >Sunday Independent< und ein paar Lebensmittel und fuhr nach Nippes.
Dort schnitt ich vier Zucchinis in schmale Streifen, ließ sie in Olivenöl bräunen und gab dann Gorgonzola dazu. Dazu servierte ich mir türkisches Pide-Brot und kalten Soave und die neuesten Literaturkritiken aus dem >Independent<. Ich las mit Genuß einen furchtbaren Verriß des neuen Elaborats von Bret Easton Ellis, der ja schon mit dem Titel seines Erstlings alles über sein literarisches Talent gesagt hatte: Less than zero. Ich trank dabei genau ein Glas Soave zuviel und wurde ziemlich müde.
Als ich aufwachte, war es schon dunkel, und als ich mich zum Badezimmer vortastete, stolperte ich über irgendwas. Es war die kleine Reisetasche, die ich mit nach Mallorca genommen und immer noch nicht ausgepackt hatte. Das holte ich jetzt nach. In einem Seitenfach steckte Wachsmuths Henry-Miller-Buch. Ich hatte Big Sur vor gut 15 Jahren mal gelesen und erinnerte, daß es mir ziemlich gut gefallen hatte, konnte aber nicht mehr sagen, warum. Ich setzte mich auf den Boden, lehnte mich an die Wand und blätterte ein bißchen in dem Buch herum. Die 16stellige Nummer sagte mir immer noch nichts. Verschiedene Textstellen waren dünn mit Bleistift unterstrichen. Eine davon fiel mir besonders auf. »Wenn wir jemals eine neue Erde bekommen sollten, so darf Geld auf ihr keine
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