Maxwell 02 - Nur du kannst sie verstehen
könnt. Vergeßt es einfach. Sie sehen fern. Sie haben einen alten Fernseher repariert.«
»Na ja, ich nehme an, so vergeht die Zeit schneller«, meinte Wobbler.
»Ich glaube nicht, daß sie Zeit so wahrnehmen wie wir«, sagte Johnny.
Yo-less rutschte von der Mauer herunter.
»Wenn ihr schon von Zeit redet«, sagte er, »ich glaube nicht, daß morgen ein guter Tag ist, um auf Friedhöfen herumzulungern.«
»Warum nicht?« wollte Bigmac wissen.
»Wißt ihr nicht, was morgen für ein Tag ist?«
»Dienstag«, sagte Johnny.
»Halloween«, sagte Wobbler. »Ihr seid alle zu meiner Party eingeladen, schon vergessen?«
»Ach herrje«, sagte Bigmac.
»Das Prinzip ist ziemlich einfach«, erklärte Mr. Fletcher. »Ein kleiner Lichtpunkt! Das ist alles! Er flitzt in einer Glasflasche hin und her. Im Grunde ist es so etwas wie ein thermionisches Ventil. Viel einfacher zu kontrollieren als Schallwellen –«
»Entschuldigen Sie«, warf Mrs. Liberty ein. »Wenn Sie vor dem Bildschirm stehen, wird das Bild ganz unscharf.«
»Tut mir leid«. Mr. Fletcher trat ein paar Schritte zurück und setzte sich. »Was passiert gerade?«
Die Toten hatten sich ordentlich in Reihen vor dem Fernseher niedergelassen und sahen fasziniert zu.
»Mr. McKenzie hat Dawn gesagt, daß Janine nicht zu Doraleens Party gehen kann«, sagte William Stickers, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
»Ich muß sagen«, meinte der Stadtrat, »ich habe mir Australien immer ganz anders vorgestellt. Mehr Känguruhs und weniger junge Frauen in unpassender Kleidung.«
»
Ich
habe nichts gegen die jungen Frauen«, sagte William Stickers.
»Mr. Stickers! Schande über Sie! Sie sind
tot
!«
»Aber ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, Mrs. Liberty.«
»Oh, ist es aus?« sagte Solomon Einstein, als der Abspann über den Bildschirm lief und die Titelmusik über den Kanal schwebte. »Aber wir wissen immer noch nicht, wer das Geld aus Micks Mantel genommen hat!«
»Der Mann im Fernsehen hat gerade gesagt, daß es morgen eine weitere Vorstellung gibt«, sagte Mrs. Liberty. »Die dürfen wir auf keinen Fall verpassen!«
»Es wird dunkel«, sagte Mr. Vicenti aus der hinteren Reihe. »Zeit, zurückzugehen.«
Die Toten sahen hinüber zum Friedhof.
»Das heißt, wenn wir wollen«, fügte er hinzu. Er lächelte matt.
Die Toten schwiegen. Dann sagte der Stadtrat: »Nun, ich will verdammt sein, wenn ich dahin zurückgehe.«
»Thomas Bowler!« zischte Mrs. Liberty empört.
»Nun, wenn ein Mann nicht mal fluchen darf, wenn er tot ist, dann sind das trübe Aussichten. Verdammt, verdammt, verdammt! Ich meine überlegt doch mal. Es gibt Radio und Fernsehen und all diese Dinge. Es passiert etwas! Ich sehe nicht ein, warum wir dorthin zurückgehen sollten. Es ist langweilig dort. Kommt nicht in Frage.«
»Aber es
gehört
sich einfach, daß wir bleiben, wo wir hingelegt wurden«, sagte Mrs. Liberty. »Wir müssen bleiben, wo man uns
hingelegt
hat.«
»Ähem.«
Es war Mr. Grimm. Die Toten starrten ihre Füße an.
»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung«, sagte er.
»Oh. Hallo, Eric«, begrüßte ihn der Stadtrat kühl.
Eric Grimm faltete die Hände vor der Brust und funkelte sie an. Das gab selbst den Toten zu denken. Die Dicke seiner Brillengläser ließ seine Augen irgendwie verschwinden, so daß man nur noch rosa dahinter sah.
»Hört ihr euch eigentlich jemals selbst zu, wenn ihr redet?« fragte er. »Ihr seid
tot.
Verhaltet euch dementsprechend. Es ist
vorbei
.« Er drohte mit dem Finger. »Ihr wißt, was passiert, wenn ihr geht. Ihr wißt, was passiert, wenn ihr zu lange wegbleibt. Allein der Gedanke ist schrecklich. Ihr laßt euch von diesem dummen Kind ganz durcheinanderbringen.«
Die Toten wichen seinem Blick aus. Wenn man tot war, dann gab es einfach Dinge, die man wußte, genau wie man als Lebender wußte, wie man atmete. Man wußte, daß
der Tag kommen würde.
Und man mußte darauf vorbereitet sein. Es würde einen letzten Sonnenaufgang geben, und darauf mußte man gefaßt sein.
Der letzte Sonnenaufgang. Der Tag des Jüngsten Gerichts. Es konnte jeder Tag sein. Man mußte bereit sein.
»Man haut nicht einfach ab und äfft die heutige Jugend nach«, sagte Mr. Grimm, als könnte er ihre Gedanken lesen. »Wir sind tot. Also warten wir hier, wie es sich für anständige Menschen gehört. Und geben uns nicht mit dem Gewöhnlichen ab.«
Die Toten traten unruhig von einem Fuß auf den anderen.
»Nun, ich habe achtzig Jahre gewartet«, sagte der Stadtrat
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