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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Allan
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diesmal. Ihre Augen suchten seinen Blick. Sie erschienen ihm leer und verhangen, wie die Augen eines kleinen Lebewesens, das in einer Falle steckte, aus der es kein Entrinnen gab.
    Was natürlich auch so war.
    »Gut«, meinte er.
    Maya schlief. Sie hatte Träume, aber sie erinnerte sich hinterher an keinen mehr. Da gab es nicht viel zu erinnern - nur riesige, leere, verdorrte Ausblicke auf Verwüstung und Verhängnis, sprühende Funken, die endlos von einem Berg brennender Gebeine aufstiegen.
    Da war kein Licht gewesen.
    »Nein...«, stöhnte sie stumm. »Nein...« Und sie war erwacht, als harte gelbe Lichtstrahlen durch den offenen Eingang eines ihr fremden Zeltes gefallen waren.
    Nein, es war ihr nicht fremd. Sie blinzelte in die Sonne. Sie lag in Felle eingehüllt in der Nähe des Eingangs, einem Fellberg gegenüber, der sich auf der anderen Seite des sanft flackernden Feuers türmte. Das Zelt war warm. Das Rauchabzugsloch war geöffnet, und der graue Rauch entwich nach oben hoch in den Himmel.
    Für eine, wie es ihr schien, lange Weile sah sie dem Rauch zu. Sie vermochte keine klaren Gedanken zu fassen. Es schien, als sei auch in ihrem Schädel nichts als Rauch. Nach einer gewissen Zeit begannen die wabernden Nebel sich aufzulösen. Sie hörte Geräusche und fand erstaunt heraus, daß diese Geräusche aus ihrem eigenem Mund kamen.
    Schluchzer, leise und erstickt. Tränen vernebelten ihr die Sicht.
    Sie befand sich in Geists Zelt. Nach einer Weile beruhigte sie sich. Sie fragte sich, was sie wohl tun sollte. Nichts, das war am wahrscheinlichsten. Es gab auch nichts mehr zu tun. Zauber war fort. Das Licht war fort. Sie hatte bemerkt, wie selbst Alte Beere sie mit diesem Ausdruck angesehen hatte, eine Mischung aus Abscheu und Enttäuschung, als sei sie auf irgendeine Weise der Grund für Alten Zaubers Tot gewesen.
    Von der alten Kräuterfrau hatte sie keine Hilfe zu erwarten.
    Und auch von sonst niemandem. Nur von Geist, der sie anlächelte und ihr sagte, daß sie nun seine Frau sei. Vage begriff sie, daß tatsächlich alles ihre Schuld war. Sie hatte geglaubt, daß die Übergabe des Mammutsteins
    - dieses verhaßten Symbols ihrer endlosen Knechtschaft - an den jungen Schamanen sie befreien würde - und tatsächlich war sie befreit worden.
    Mit Sicherheit würde Alter Zauber nun keine Pläne mehr hinsichtlich ihrer Zukunft schmieden. Und der Stein war auch fort, oder etwa nicht?
    Sie hatte keine Ahnung, was Geist mit dem Stein angestellt haben mochte, doch sie hatte nicht den geringsten Zweifel, daß der Mammutstein sich nicht mehr im Lager, bei dem Volk befand. Sie hätte dieses Wissen nicht erklären können, nicht einmal vor sich selbst, doch sie war sich dessen so sicher wie der Tatsache, daß die Entfernung des Steins auf irgendeine Weise Alten Zauber umgebracht hatte.
    Und das bedeutete, daß sie Alten Zauber getötet hatte, genauso, wie sie für den Tod aller Menschen verantwortlich war, die sie jemals geliebt hatte. Plötzlich stießen die Erinnerungen an den Tod von Knospe und Blüte aus keinem ersichtlichen Grund wieder an die Oberfläche ihres Bewußtseins vor, um sie zu quälen. Bis in die gräßlichste letzte Einzelheit entsann sie sich wieder dieses fürchterlichen Tages: der heiße, stinkende Atem von Mutter Löwe, die immer höher in den Baum klet terte; das jaulen der Jungen unten auf der Erde; die Schreie und wie der Baum mit einemmal zurückgeschnellt war und sie wie einen winzigen Stein durch die Luft geschleudert hatte.
    Und dann sah sie wieder die zerfetzten Leiber ihrer Schwester und ihrer Ziehmutter vor sich - und jetzt, in ihrer fiebrigen Vision, standen deren Augen weit offen und sahen sie ankla gend an.
    »Dw/« schienen sie ihr zuzurufen. »Dos ist dein Werk! Du hast uns auf dem Gewissen! Ungeheuer! Dämon!«
    »Dämon...«, wisperte sie. Ja, das mußte es sein. Es war alles ihre Schuld.
    Sie mußte bestraft werden. Ohne Zweifel würde Geist sich darum kümmern. Sie las ihre Bestrafung in seinem gräßlichen Lächeln, in diesem Anblick, der ihr alle Pein versprach, die sie ertragen konnte.
    Nun gut, dachte sie stumpf. Dann gibt es nun also kein Licht mehr. Ganz allein Dunkelheit. Wieder wollte sie in Tränen ausbrechen, doch sie vermochte es nicht. Sie hatte keine Tränen mehr.
    Sie hatte den Grund der Grabe erreicht, und sie hatte es sich allein selbst zuzuschreiben. »Oh, Mutter...«, flüsterte sie.
    Doch sie erhielt keine Antwort, und alles, woran sie denken konnte, waren Schlangen.

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