Maya und der Mammutstein
Ausrüstung.
Es gab viele Fragen, die Geist gerne gestellt hätte, doch der Bisonmann war tot. Geist stieß einen tiefen Seufzer aus und wandte sich an Haut.
»Maya?« fragte er.
Haut ließ ein Schulterzucken sehen. »Kann ich nicht sagen. Die Fährten hier sind ein einziges Durcheinander, völlig zertrampelt. Hier sind sechs oder sieben Männer langges tapft - und natürlich der Löwe.«
Wieder warf Geist einen Blick auf den Toten. Ein einziges Rätsel. Die tote Höhlenlöwin, mit einem einzigen mächtigen Stoß niedergemetzelt und dann unberührt zurückgelassen. Keine Trophäen mitgenommen.
Keine Maya weit und breit. Und dieser hier tot, ohne daß zu ersehen war, warum er hatte sterben müssen.
Was war hier geschehen?
In Geist stieg die Befürchtung auf, daß er das nie herausfinden würde.
Der Wind drehte, so daß er jetzt heftig aus Norden blies, immer stärker auffrischte und heulend über die Klippenränder herniederfegte. Weit draußen über der Steppe brauten sich Wolken zusammen, von den Sonnenstrahlen golden und purpurn gefärbt. Die Wolken hatten niedrighändende schwere Bäuche voller Dunkelheit.
Der Winter kommt, dachte Geist. Der Gedanke ließ ihn sich einsam und sehr ängstlich fühlen. Hier war irgend etwas geschehen, und er wußte nicht, was. Er ahnte indes, daß all dies nichts Gutes bedeutete; nicht für das Volk, nicht für ihn.
Er sollte sich nicht täuschen.
Nun stierte er leeren Blickes auf die frühlingsfrischen Wasser des Ersten Sees und das trostlose Zeltgewirr dahinter. Selbst in seinen wildesten Träumen hätte er sich das Ausmaß der Katastrophe, die über sie gekommen war, nicht träumen lassen.
Das Verhängnis hatte allerdings nicht lange auf sich warten lassen.
Weniger als drei Tage nach der Entdeckung der erlegten Großkatze war eine von Hauts Frauen in das Geisterhaus gekommen, wo der Schamane jetzt lebte. Alter Zauber war erst zwei Tage zuvor ins Feuer gelegt worden, die Erinnerung an ihn noch frisch, doch Geist hatte nicht gewartet. Er begriff den Wert von Symbolen. Wer immer auch im Geisterhaus wohnte, war der Schamane - und aus diesem Grund war er dort eingezogen.
Still war die Frau ins Zelt gekrochen und hatte geduldig gewartet, bis Geist damit fertig war, ein dunkelblaues Pulver zwischen zwei glatten Steinen zu zermahlen. Als er seine Arbeit beendet hatte, blickte er zu ihr hoch. »Was ist?« herrschte er sie an.
»Haut«, sagte die Frau. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihm. Ein Geist, glaube ich. Kannst du kommen?«
Deutlich hatte er das blanke Entsetzen aus ihrer Stimme herausgehört.
Haut war alt - doch was immer mit ihm los war, es hatte nichts mit der natürlichen Schwäche der Alten zu tun.
»Geh voraus«, hatte Geist sie angewiesen. »Ich folge dir gleich.«
Haut erkannte den Schamanen nicht mehr, als dieser eintrat. Der Fährtenleser phantasierte bereits im Fieberwahn. Die Hitze, die von seiner Stirn ausströmte, war so stark, daß Geist ihm kaum die Hand auflegen konnte. Und Haut hustete, und dünne Schleimfäden spritzten aus Nase und Mund.
Seine Frauen waren um sein Lager versammelt, die drei Frauen, die er immer noch mit Stein teilte; in ihren schwarzen Augen lag Besorgnis.
Stein selbst trat ins Zelt, sah seinen alten Freund und dann Geist an.
»Ist es ein böser Geist?« fragte er.
»Möglicherweise«, gab Geist schroff zur Antwort. »Laßt mich allein. Ich habe zu tun.«
Bereitwillig kehrten sie ihm den Rücken und ließen den Schamanen allein mit dem Sterbenden, der der erste Prüfstein für seine neue Macht und seine Fähigkeiten werden sollte.
Geist leerte seinen Medizinsack aus, holte eine kleine Pfeilspitze, eine Rassel und den Rest seiner Utensilien hervor. Er schloß die Augen, suchte nach einem Zugang zu dem Geist, der Haut in seinen Fängen hielt, ihm das Leben vor seinen, des Schamanen, Augen aussaugte. Nach einer Weile griff er nach der Rassel und stimmte einen Gesang an.
Das Lied war leise und zögernd. Schon spürte er, wie das Unheil ihm drohend im Nacken saß, auf ihn niederblickte, ihn angrinste.
Die düsteren Nebel nahmen die Gestalt einer Frau an.
Es war beinahe so, als ritte sie ihn wieder.
Geist erschauerte leicht und setzte seine Bemühungen zur Austreibung dieses neuen bösen Geistes fort.
Vierundzwanzig Stunden später, als Haut einen riesigen, blutigen Klumpen hervorwürgte, den dünnflüssigen, sauren Inhalt seiner Därme entleerte und verschied, wußte Geist, daß er gescheitert war.
Es sollte nicht sein
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