Maya und der Mammutstein
er die Furcht seines Rivalen besser kosten konnte.
Schließlich nickte er langsam. »Frühlingsblüte«, verkündete er. »Der Geist der Lüfte verlangt Frühlingsblüte.«
Karibu stöhnte. Doch er wußte es besser, als Widerspruch zu äußern.
Selbst seine eigene Autorität konnte sich nicht mit der Macht des Größten aller Geister messen. Wenn er Frühlingsblüte wollte, würde er sie bekommen.
Karibu hatte keine Wahl. Auch wenn Frühlingsblüte seine jüngste Schwester war.
Er war der Häuptling. Gebrochene Faust würde ihre Leber essen, doch es wäre an ihm, ihr Herz zu verzehren.
Das Grüne Tal
Maya zitterte vor Erregung. Die Neuigkeit hatte sich wie ein Präriefeuer im Volk verbreitet. Andere Menschen! Und nicht einmal weit entfernt.
Das, was sie wußte, war verworren und bruchstückhaft. Alte Beere hatte sie zu dem Zelt geschickt, das sie gemeinsam bewohnten, und hatte ihr aufgetragen, dort auf sie zu warten.
Maya hockte auf dem Baumstumpf vor dem kleinen Zelt und sah den Männern und Frauen zu, die sich zu kleinen Grüppchen zusammenfanden, um in Ruhe zu reden. Verzweifelter als je zuvor wünschte sie sich, sie könne sich ihnen anschließen, an ihren Gesprächen teilnehmen, doch sie wußte, was passieren würde, wenn sie das versuchte. Niemand würde sie beiseite schubsen, doch die Lippen würden sich schließen, die Augen zusammengekniffen werden, und irgendwie, wie auf ein geheimes Zeichen hin, würde jedermann plötzlich dringend etwas anderes zu erledigen haben. In weniger Zeit, als man brauchte, um ein paarmal Luft zu holen, würde sie sich alleine wiederfin den, umgeben von einem leeren Raum, in den niemand eindrin gen mochte.
Also saß sie da und sah zu und wartete. Sie wollte zu Altem Zaubers Zelt rennen, aber Speer und Haut und Geist und Beere waren bereits dort. Sie konnte gerade den kahlen Schädel vom Alten Zauber erkennen, der bedächtig nickte, während irgend jemand redete - sie glaubte, daß es Speer war, dessen Hände sich beim Sprechen bewegten, als fertige er eine Speerspitze. Endlich löste Beere sich aus der Gruppe und stapfte schwerfällig in Mayas Richtung. Das Mädchen spra ng auf und ging ihr entgegen; die Fragen sprudelten aus ihr hervor wie Wasser aus einer Quelle.
»Alte Beere, was ist... Wer...? Wo ...?«
»Psst, Kind«, ermahnte Alte Beere sie. »Geh zurück in unser Zelt und mach dich bereit. Der Schamane will dich auf der Stelle sehen. Geh jetzt.« Sie versetzte dem Mädchen einen gutmütigen Klaps - doch als sie Maya beobachtete, wie sie mit strahlendem Gesicht herumwirbelte und zum Zelt zurückging, waren ihre alten Züge verbittert und besorgt.
Ist das der Anfang? fragte sie sich.
Alter Zauber blickte hoch, als das Mädchen langsam sein Zelt betrat.
Obwohl es wie üblich sehr warm in dem Zelt war, bereitete die Arthritis dem alten Mann großen Kummer; er fühlte sich, als seien seine Gelenke mit winzigen Eissplittern angefüllt, die aufeinander mahlten, die Knorpel und das Fleisch abrieben. Doch er verbarg seine Schmerzen gut und lächelte Maya entgegen.
»Setz dich, Maya«, forderte er sie freundlich auf.
Ihr Antlitz strahlte vor Fröhlichkeit. Sie sank, anmutig wie ein junges Reh, auf der anderen Seite des Feuers in ihre übliche Sitzhaltung und schlug die Beine übereinander. Obwohl er sie an beinahe jedem Tag ihres Lebens gesehen hatte, blickte Alter Zauber sie nun an, als begegneten sie sich zum erstenmal. Sie war eine Frau geworden, hatte Alte Beere ihm mitgeteilt. Und eine schöne dazu, entschied Zauber. Ihre Nase, die breit und leicht abgeflacht war, saß genau in der Mitte zwischen hohen, scharf ausgeprägten Wangenknochen und schräg angesetzten, mandelförmigen Augen. Ihre Haut hatte die Farbe von Honig, und ihr langes, glattes schwarzes Haar glänzte in dem flackernden Feuerschein. Wenn sie lächelte, wie sie es nun tat, zeigte sie weiße, ebenmäßige Zähne zwischen süß geschwungenen Lip pen.
Irgendwie jedoch würde er sich an sie immer als an eine win zige Handvoll Fleisch erinnern, gezeichnet vom Blut ihrer Mutter. Doch sie war gewachsen, hatte sich verändert, so wie das Volk gewachsen war und sich verändert hatte. Inzwischen hatte sie ihre volle Blüte erreicht. Er hatte noch nicht viel über dieses seltsame Volk geträumt, das Speer entdeckt hatte, doch er war sich des Zusammenhangs ihrer Entdeckung und Mayas Verwandlung bewußt.
Er hielt all dies nicht für einen Zufall, genausowenig, wie er Mayas Geburt in dem Moment, als das Volk
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