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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Allan
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das Grüne Tal entdeckt hatte, für ein zufälliges Aufeinandertreffen von Ereignissen gehalten hatte. Er glaubte, das Gewicht der Hand, der Großen Mutter wie einen Stein auf seinen Schultern lasten zu fühlen, den schrecklichen Druck des Geheimnisses, die Verantwortung, die ihn so lange über seine Zeit hinaus am Leben erhalten hatte.
    In diesem lächelnden Mädchen vor ihm lag die Zukunft des Volkes. Er hatte keine Vorstellung davon, wie diese Zukunft aussehen mochte, und er bezweifelte sehr, daß Maya eine solche hatte. Wie sollte sie auch? Er hatte sie vieles gelehrt, soviel er vermochte. Nur er und Beere kannten das Geheimnis. Nun war es vielleicht an der Zeit, diese Bürde ein für allemal abzustreifen.
    Doch er zögerte. Was würde geschehen, wenn er Maya eröffnete, wer sie in Wirklichkeit war? Würde sie es verstehen? Würde sie es überhaupt glauben? Sie war nun erwachsen, war eine Frau, aber für Zauber war sie immer noch so jung. So überaus jung. Und er konnte ihr nur so wenig Hilfe gewähren.
    Mit einem Schlag fühlte er sein Alter, das ihn wie ein großes weiches Fell einhüllte, ihm den Mund stopfte, ihn wärmte, weil er sich selbst nicht mehr aufwärmen konnte. Er hatte sein Bestes gegeben. Er hatte ihr soviel beigebracht, wie er konnte. Er hatte immer und immer wieder die alten Lieder gesungen, bis zuletzt die Worte tief in ihrem Gedächtnis verwurzelt waren. Und sie kannte die Geheimnisse - die kleinen der Pflanzen und die großen der Geister. Er hatte sich sorgfältig um ihre Ausbildung gekümmert; da er nicht wußte, was sie benötigen würde, hatte er ihr alles beizubringen versucht. Speer hatte ihr sein Wissen über die Sterne weitergegeben, wie man die Splitter abschlug und formte und polierte, und auch Alte Beere hatte ihren breitgefächerten Wissensschatz offenbart. Maya konnte Fährten lesen, ein Messer fertigen, rituelle Lieder singen, einen heilenden Umschlag bereiten. Für sie war vielleicht alles ein Spiel, doch darüber machte sich Alter Zauber keine großen Sorgen.
    Wichtig war, daß das Wissen vorhanden war, so daß sie darauf zurückgreifen konnten, wenn die Zeit kam, wo sie es brauchen würde.
    Mehr hatte er nicht zu tun gewußt, nicht tun können. Er hatte das getan, was die Träume ihm über die Jahre hinweg aufgetragen hatten. Es war lange her, daß er den Geist der Frau erblickt hatte, die Maya so sehr glich
    - sie kam nur selten. Doch sie schickte ihm ihre Träume auf hundert verschiedene Arten, auch wenn die Botschaft immer dieselbe war: Unterrichte sie!
    Und so hatte er es getan. Es gab nur noch eine letzte Sache, die sie erfahren mußte, und die war das Wichtigste von allem. Sie zählte kaum vierzehn Sommer, doch sie hatte schon ein Schicksal, und ihr Schicksal umfaßte mehr als nur ihr eigenes j^ben _ es war auch das Schicksal des Volkes. Das besagten die überlieferten alten Gesänge, die er in seiner eigenen Jugend gelernt hatte, und auch die schattenhaften Visionen seiner Träume.
    Daß sie geboren worden war, war mehr als ein Zeichen. Er hatte Geist angelogen, als er das Ereignis vor ihm so benannt hatte, doch diese Lüge hatte ihr das Leben gerettet. Mayas Geburt war ein Zeichen gewesen, doch bald würde sie selbst es sein, die Zeichen setzte.
    Auf irgendeine Weise, die er nicht ganz begreifen konnte, verkörperte Maya direkt die Große Mutter in dieser Welt. Er ahnte, daß so etwas erst ein einziges Mal zuvor geschehen war; vielleicht konnte es nur ganz wenige Male überhaupt geschehen, und dann auch nur in Situationen äußerster Gefahr, dann nämlich, wenn die unsichtbare Straße, die das Volk beschritt, an einen entscheidenden Scheideweg kam.
    In diesem Moment spürte er ein Beben, gewaltige Kräfte, die mächtiger waren, als alles, was es auf der Erde gab. »Maya...« begann er sanft, ignorierte die Schmerzen, die durch seine Knochen schössen, und durch sein weiches, herabhängendes Fleisch.
    »Was ist?«
    Ein geheimes Feuer schien ihre Augen zu erleuchten. Was denkt es?
    Dieses Mädchen, das so allein ist, so allein, und doch überhaupt nicht allein. Er holte tief Atem und stürzte sich auf seine Aufgabe, wie ein Mann, der einen Stein in einen bodenlosen Abgrund wirft und dann für alle Ewigkeit an dessen Rand steht und auf den Aufprall wartet.
    Seine alten Finger zerrten an den sorgfältig geknüpften Knoten herum, die den Mammutstein in seiner Hülle aus Fell und weichem Leder festhielten.
    Es gelang ihm, sie zu lösen, und er streifte sich die Handschuhe

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