Maya und der Mammutstein
Herdstelle genommen und sie in kleine, mit getrocknetem Moos ausgepolsterte Lehmkugeln gebettet, die er in einer kleinen Höhle in den Klippen aufbewahrte. Er fütterte die schwach glimmenden Kohlen, als seien es kleine, zerbrechliche Tierchen
- um sie für die Zeit aufzubewahren, wenn er sie wieder hervorholen und mit ihnen lodernde Feuer entzünden würde, über denen köstliche Mahl-zeiten bereitet werden würden.
»Nein, das ist nicht wahr, Maya«, sagte Geist sanft. »Ich möchte dein Freund sein.«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Diese Worte, diese kostbaren, wundervollen Worte! Wie lange schon hatte sie sich danach gesehnt, sie zu hören? Sie hatte schon so lange an einem kalten Ort gelebt, daß auch ihr Herz zu Eis gefroren war, so lange, daß sie schon befürchtet hatte, daß nichts, aber auch gar nichts jemals einen Funken Wärme in die kalte Ödnis ihres Inneren zu hören, von ihm vor allen anderen im Volk, erschütterte sie bis ins Mark.
Sie schaute den jungen Schamanen an, als sehe sie ihn zum erstenmal, verstummt angesichts der Ungeheuerlichkeit seiner ruhigen Worte.
Er hatte sie vor dem Geisterhaus aufgesucht, wo sie, eine einfache Weise vor sich hinsummend, gesessen hatte, die Augen strahlend und funkelnd, während sie Eicheln, im letzten Herbst gesammelt aus einem Korb gelesen hatte. Sie hatte seine Schritte nicht gehört, so leise hatte er sich angeschlichen, und war so erschrocken zusammengezuckt, als er sich zu ihr niedergebeugt und >Hallo, Maya!< gesagt hatte. Sie hatte vor Schreck den gesamten Inhalt des Korbs auf ihren Schoß verschüttet.
»O je!« Die Röte war ihr in die Wangen gestiegen, während sie mit fahrigen Fingern die zerstreuten Gaben der Natur aufgehoben hatte.
»Komm«, hatte er gesagt, »ich helfe dir.«
Zusammen hatten sie schweigend die kleinen braunen Früchte wieder eingesammelt - Geists Finger schienen ruhiger und geschickter zu sein als die ihren, und sie war sich der braunen Haut seiner Arme, die bei der Arbeit sanft an ihrer Schulter gestreift hatten, nur allzu bewußt gewesen -, und als sie damit fertig gewesen waren, die Eicheln einzusammeln, hatte Geist gesagt: »Kleine Maya, kannst du eine Weile mit mir kommen? Ich möchte mit dir reden.«
Das war die längste Rede, die er in den vergangenen fünf Jahren an sie gerichtet hatte, und mit Sicherheit die freundlichste. Freundlichkeit, ja einfache Höflichkeit... das waren nicht gerade Eigenschaften, die sie mit Geist in Verbindung gebracht haben würde. Kalte, distanzierte Konzentration, die in ihr das Gefühl weckten, einer jener schwarzen Käfer zu sein, die hilflos in das Licht blinzelten, wenn man das schützende Stück Holz über ihnen lüftete, das vielleicht, aber auf keinen Fall Freundlichkeit.
In letzter Zeit war er dazu übergegangen, sie ganz zu ignorieren Wenn ihre Wege sich gekreuzt hatten, war sein ausdrucks loser Blic k über sie hinwegglitten wie über etwas, das er, wenn überhaupt, als etwas Störendes wahrnahm, ein Staubkorn, das seine Sicht für einen kurzen Augenblick trübte, bevor er wieder verschwand.
Geist hatte ihr im Verlauf des letzten Jahres das Gefühl vermittelt, so unbedeutend zu sein, daß sie ihm mittlerweile absichtlich aus dem Weg ging, um die Hoffnungslosigkeit, die er in ihr erweckte, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Am schlimmsten von allem war das Wissen (das stärker zu werden schien, sobald sie sich ihm näherte), daß Alter Zauber nicht ewig leben würde und daß Geist, wenn der alte Schamane zur Großen Mutter heimgekehrt war, dessen Platz und dessen Amt einnehmen würde.
Und was würde dann mit ihr geschehen? Dieser düsteren Überlegungen wegen platzte seine schlichte Erklärung wie ein Donnerschlag in ihre Gedanken.
»Ich weiß«, fuhr er bedächtig, freundlich fort, »daß du denkst, daß ich dich hasse. Nicht wahr?«
Er lächelte sie an, und sie war erstaunt über die Wärme, die dabei in seinem hageren Gesicht aufleuchtete. Sie erwiderte sein Lächeln. Sie konnte einfach nicht anders. »O nein, Geist, ich habe nie...«
Langsam hob er seine rechte Hand. »Du mußt nicht lügen, Maya. Ich weiß, was du glaubst. Und du hattest auch recht damit. Einst habe ich dich gehaßt. Doch ich hasse dich nicht mehr, glaube ich.«
Diese neue Enthüllung ließ sie vor Verwirrung erbeben, Schauer fuhren ihr über die Arme, über den Bauch. Geist bemerkte es und berührte sie an der Schulter. Seine Hand zu spüren war
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